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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ist nicht besser. Ich verstehe dennoch nicht, was Euch so sehr vergrämt. Ein Waffenstillstand ist mit England geschlossen – so müsst Ihr keinen neuen Krieg fürchten. Und wenn der König sich an den Papst wendet, so lasst ihn doch gewähren – was kümmert’s Euch?«
    Es ängstigte sie, dass er sich derart gehen ließ, dass seine erhabene Undurchdringlichkeit so brüchig wurde – und einen schwächlichen Mann hinterließ, der maßlos soff.
    »Ich dachte stets, es lohnte sich, auf ihn zu setzen, versteht Ihr?«, kam es mit schwerer Zunge genuschelt. »Ich bin kein Erstgeborener; meine Familie zählt nicht zum besten Adel; und mein größtes Talent ist, Menschen zu durchschauen. Ich wähnte mich bestimmt, an seiner Seite groß zu werden. Und niemals hat er sich mir widersetzt in all den Jahren. Heute aber sprach er zu mir wie zu einem Lakaien. Er hat nicht vergessen, dass ich die dänische Heirat wollte. Dies wirft er mir vor. Dafür rächt er sich. Und ich kann nichts tun, um mich dagegen zu wehren, sondern muss zusehen, wie mein Geschick in den Händen eines Narren ruht.«
    Er stand auf, trat zu ihr hin und wieder fort. Heftiger als sonst zitterte sein rechter Fuß.
    »Ich diene dem Lande nicht nur«, setzte er mit verschleiertem Blick hinzu, der sie zu suchen schien und zugleich nicht vermochte, bei ihr zu verweilen. »In gewisser Weise bin ich Frankreich, und ich muss Acht geben, dass der König es recht führt. Aber wie soll ich’s erreichen, wenn er nicht auf mich hört? Ich will keinen Krieg mit England mehr, mit keinem Land auf dieser Welt. Gewiss – vielleicht sind Schlachten vonnöten, unser Frankreich groß zu machen. Und doch, wenn der König eben solches im Sinn hat, so frage ich mich manchmal, warum er’s will. Weil er sich der Pflicht beugt, die ihm, Philippe Capet, von jener langen Kette an Vorfahren aufgetragen wurde? Oder weil seiner ängstlichen, misstrauischen Natur nichts anderes übrig bleibt, als sich hinter blutigen Siegen zu verbergen? Und glaubt mir, das Schlimmste ist: Ich sehe es nicht besser werden. Buckelnd werde ich Philippe zu dienen haben, mein Leben lang, und werde mich all jenen Hirngespinsten zu fügen haben, die ihm durch den Kopf gehen. Im besten Fall kann ich seine wirren Pläne mitbestimmen – im schlimmsten einzig sie vollziehen. Gesetzt nun aber, Gott schenkt mir ein langes Leben – ich würde älter als der König und auch dem nächsten dienen, ist denn damit zu rechnen, dass es unter jenem Louis zum Besseren stünde? Wiewohl vermählt ist er fast noch ein Knabe und scheint mir jetzt schon schwächer, als sein Vater es jemals war. Oh, gar manches Mal wünscht’ ich mir ein anderes Leben!«
    Mit dem schlichten Geständnis beendete er endlich die Rede, die Sophia lang und verworren schien. Mehrmals hatte sie Atem geschöpft, um ihm ins Wort zu fallen und die Vertraulichkeit zu bremsen, die peinvoll war und schwierig zu ertragen, doch dann hatte sie der Tränen gedacht, die sie vor kurzem erst in seiner Gegenwart vergossen hatte. Dass er sich nun nicht minder entblößte, war nicht nur unangenehm, sondern auch tröstlich. Sie trat auf ihn zu und stand erstmals von Angesicht zu Angesicht vor ihm.
    »Menschen wie Ihr und ich haben nicht die Befugnis, sich ein gänzlich eigenständiges Leben zu erringen«, sprach sie zu ihm und wusste nicht, ob sie Trost aussprach oder eine leise Rüge.
    Er lachte bitter auf.
    »Erklärt mir nicht die Welt!«, rief er.
    Sein heißer Atem, der ihr Gesicht traf, roch nach Wein.
    »Dann hört auf zu jammern!«, entgegnete Sophia ungeduldig, da seine Verbitterung nicht länger nur den König, sondern auch sie selbst traf. »Was denkt Ihr, wie’s mir in meinem Leben ergangen ist – und wie viele Narren ich zu ertragen hatte? Wie oft musste ich mich fremdem Willen beugen – auch dem Euren!«
    Er wollte nach vorne treten, um ihr von nahem ins Gesicht zu blicken. Stattdessen schwankte die sonst erhabene Gestalt und fiel auf sie. Zu Boden hätte er sie gerissen, wenn sie sich nicht auf die Tischplatte gestützt hätte.
    »Lasst mich los!«, rief sie – nicht von seiner Nähe eingeschüchtert, sondern von der Schamlosigkeit, die er sich erlaubte. Wieder nüchtern würde er sie gewiss bereuen.
    »Vielleicht«, murmelte er, ohne sich zu lösen. »Vielleicht ist es für Euch leichter, die Unbill der Welt zu ertragen. Vielleicht seid Ihr stärker, als ich es bin.«
    »Unsinn!«, zischte sie und hasste es, den einzigen Menschen, der nicht ob ihrer

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