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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wich er mir oft aus, deutete an, dass unser Glück gefährdet wäre. In jüngster Zeit freilich sprach er... ja, wenn ich’s jetzt recht bedenke... oh, wie blind muss ich gewesen sein, diese Worte nicht richtig gedeutet zu haben, oh, wie dumm!«
    Isidora löste sich aus ihrer Starre und packte Sophia am Arm.
    »Was«, schrie sie panisch, »was sprach er?«
    Unter ihrem Griff wähnte sich Sophia kraftlos werden. Sie mochte nicht von ihrem wahnwitzigen Plan lassen, aber sie sank auf einen Stuhl, auf dass sie ihn nicht stehend verwirklichen müsste.
    »Mir war’s, als würde er von einem störenden Hindernis sprechen, das sein Leben verstelle und sein Glück gefährde. Doch auch, dass ich keine Angst zu haben brauche. Er würde schon ein Mittel finden, es aus dem Weg zu schaffen...«
    Isidora war kalkweiß geworden. Auch Sophia selbst war es, als würde alles Blut aus ihrem Gesicht schwinden. Die Übelkeit von vorhin stieg wieder durch ihre Kehle, doch sie entlud sich nicht in neuerlichem Erbrechen, sondern in vollkommener Kraftlosigkeit: Sie vermochte es nicht, sich auf dem Stuhl zu halten, sondern stürzte seitwärts zu Boden. Während sie auf den harten, kalten Fliesen lag, vermochte sie nicht zu bestimmen, ob die Verzagtheit, die sie jäh befiel, Teil ihres perfiden Spiels war oder echt. Sie fühlte erst, dass sie weinte, als Isidora sich neben sie hockte und ihren Kopf in den eigenen Schoß legte – eine tröstend weiche Lage, die sie nie wieder aufgeben wollte und die sie kurz vergessen ließ, dass noch schändlicher und kaltherziger als ihr Betrug dieses Bedürfnis nach Trost war.
    Isidoras entschlossene Stimme drang zu ihr. Die rauen Hände streichelten ihre Schläfen.
    »Es ist nicht Eure Schuld«, murmelte die Sarazenin. »Es ist nicht Eure Schuld. Aber Bertrand soll mir dafür büßen...«
    Sophia ließ sich wieder zurücksinken und wünschte, sie könnte ewig so geborgen liegen.
    »Ich trage ein Kind«, jammerte sie, »ich trage ein Kind als Zeichen seines niederträchtigen Verrats an Mélisande. Wenn Ihr um ihre Ehre kämpfen wollt, so tut es. Denn es ist auch meine, die Ihr verteidigt. Und nicht geringer soll mein Lohn ausfallen, als dass ich für alle Zeiten bürge, für Mélisandes Wohl zu sorgen. Was in meiner Macht steht, will ich tun, auf dass sie friedlich an vertrauter Stätte sterben möge. Verhindert, Isidora, verhindert, dass Bertrand über ihr Geschick bestimmt – und legt es in meine Hände!«
    Sie hatte die Augen geschlossen, fühlte Isidoras Wärme und schließlich auch den Druck ihrer Hände.
    »Schwört Ihr es«, hörte sie die Sarazenin flüsternd fragen, »schwört Ihr, dass Ihr Mélisande stets beschützen werdet?«
    Sophia sah nicht in ihr Gesicht, sondern verkroch sich tiefer in die wohlige Armbeuge der anderen.
    »Natürlich verspreche ich es«, murmelte sie leichtfertig.
    »Nein, nicht nur versprechen. Schwört es! Schwört es!«
    »Nun gut, ich schwöre es! Ich schwöre es beim Leben des Kindes, das ich trage!«
    Die Zusage deuchte sie nicht als Opfer. Anderes nagte viel schmerzhafter in ihr, zeugte eine viel größere Qual.
    Ich darf es nur nicht aufschreiben, dachte Sophia. Nichts von Guérins Verrat. Nichts von Mélisande. Nichts von meiner teuflischen Lüge.
    Nein, ich darf es nicht aufschreiben. Es würde mich zugrunde richten, würde ich es lesen. Ich muss das Unwichtige vom Wichtigen trennen.
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
    Sie suchten Gret den ganzen Tag bis in die Nacht hinein.
    Dass jene nicht zum Morgengebet erschienen war, hatte Roesia noch abgetan.
    »Wir wissen doch«, erklärte sie den aufgeregten Schwestern, »dass sie im Herzen eine Heidin blieb. Sie kam hierher, weil sie der Königin Isambour ein Leben lang gefolgt ist – und lebt seit deren Tod bei uns, weil es keine andere Stätte für sie gibt. Dem Beten und dem Messefeiern blieb sie aber häufig und gerne fern!«
    Sie war sich sicher, dass sie die anderen beschwichtigt hätte. Doch kaum drehte sie sich um, so vernahm sie Getuschel. Es wurde lauter, als Gret auch nicht zum Morgenmahl erschien, und mündete in laute Schreckensrufe, als man in ihrer leeren Zelle das Bett gänzlich unberührt vorfand.
    »Oh, gütiger Gott!«, kreischte eine. »Der Widersacher sucht uns heim! Erst raubt er die Chronistin, dann deren Tochter – und nun ist Gret von ihm hinfortgerafft! Was ist, wenn die letzten Tage über uns hereingebrochen sind und die grausamen Morde ein Vorzeichen für die Herrschaft des Satans

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