Die Chronistin
betrat, so war vergessen, dass ihre Lungen eben noch wie leer gekeucht waren. Sie stieß einen Schrei aus – so laut und schrill, dass man ihn selbst im Freien hörte. Die Schwestern liefen unten zusammen. Roesia aber fiel auf die Knie ob des schauerlichen Anblicks, der sich ihr bot.
Kapitel XI.
Anno Domini 1208
Aus der Chronik
Stürmische Zeiten lagen hinter Frankreich.
Unermüdlich führte Philippe weiterhin Krieg gegen das Angevinische Reich – diesmal gegen Richards Bruder Jean, den man »ohne Land« nannte, weil er als jüngster der Plantagenet – Brüder kaum Aussicht darauf hatte, jemals ein König zu werden. Nun hatte er alle Älteren überlebt und gedachte an der Macht festzuhalten, koste es, was es wolle. Den eigenen Neffen Arthur, der in Frankreich erzogen worden war und den Philippe auf den englischen Thron hatte setzen wollen, ließ er heimtückisch umbringen – vielleicht tat er’s sogar eigenhändig.
Philippe tobte, aber ließ sich davon nicht den Ehrgeiz rauben, sondern führte seinen erbitterten Kampf fort. 1204 eroberte er die Burg Gaillard, später Rouen, schließlich Poitiers. 1206 musste Jean sans Terre auf alles Land jenseits der Loire verzichten: die Normandie und die Bretagne, dieTouraine, Maine und das Anjou.
Nicht nur von diesem Krieg konnte er nicht lassen. In all den Jahren wurde König Philippe nicht müde, die Aufhebung seiner Ehe mit Isambour durchzusetzen. Der Papst zermürbte ihn auf seine Weise, indem er die großen Theologen disputieren ließ, was denn die Ehe ausmache. Ist der körperliche Vollzug tatsächlich nötig?, fragten sich die Gelehrten in Rom und zitierten einen Huguccio von Pisa, Pierre Comestor oder Pierre le Chantre.
Die päpstlichen Legate, die nach Frankreich kamen – erst war es Guala von Beccaria, dann Guido von Athis – überbrachten dem König stets aufs Neue die Verzögerung eines Ergebnisses. Anfangs tobte er lautstark ob dieser Nachrichten. Später nahm er sie hin, vergnügte sich mit seiner neuen Geliebten, der edlen Dame Marguerite aus Arras – und ließ Isambour auf der Burg von Étampes verrotten.
»Ihr müsst pressen!«, rief eine der Frauen. »Ihr müsst das Kind aus Euch herauspressen!«
Schwer lag in der abgestandenen Luft der Geruch von Schweiß und Blut, und Sophia hätte gerne die Balken öffnen lassen. Wenn sie eine Krankenstube betrat, war dies zumeist ihr erster Befehl, auch wenn die Menschen sich sträubten und sich vor den Dämonen fürchteten. »Was könnte gefährlicher sein als des Leibes giftige Dämpfe!«, gab Sophia dann streng zurück und erreichte meistens, dass man sich fügte.
Heute freilich bemühte sie sich gar nicht erst, den Willen durchzusetzen. Die Gebärende, zu der sie mit prüfendem Blick trat, war ihrem Rang nach zu bedeutsam, als dass man ihr Vorschriften machen konnte.
»Bitte presst!«, klagte eine der Dienerinnen.
Und eine andere blickte Sophia flehend an und fragte: »Werdet Ihr ihr helfen können? Es geht nun länger schon als eine Nacht und einen Tag. Die Ärzte haben sie lange untersucht – aber kein Mittel gefunden, das Kind auf die Welt zu holen. Jetzt suchen sie die Sterne zu deuten, um anhand des Standes von Jupiter und Saturn den rechten Augenblick für ihr Eingreifen zu berechnen.«
Sophia rieb sich den Schlaf aus den Augen – hadernd, dass Geburten und Krankheiten immer zu Unzeiten kamen, nämlich dann, wenn sie im tiefsten Schlaf lag. Während die Gebärende hilflos stöhnte, wähnte sie sich noch in dessen Fängen, und die Frauen, die da auf sie einredeten, deuchten sie unwirkliche Traumgebilde.
»Was habt Ihr ihr gegeben?«, fragte sie prüfend und übertönte das klägliche Stöhnen, das aus dem Wochenbett gekrochen kam.
Die Weiber glotzten nachdenklich. »Wir haben alles getan, was bei einer Geburt vonnöten ist«, erklärte eine schließlich eifrig – und auch ein wenig beleidigt, weil all dies nichts gefruchtet hatte und die Gebärende sich noch immer quälte. »Wir haben ein Amulett aus Adlersteinen am linken Handgelenk befestigt. Meint Ihr, wir brauchten auch das Blut vom Kranich? Ich habe keine Ahnung, woher wir welches kriegen könnten, doch es heißt, dass es die Geburt erleichtert – und außerdem ist’s so, dass draußen ein Priester kniet und zum Heiligen Godehart betet, auf dass jener der Gebärenden beistünde.«
»Mög’s Gott ihm vergelten«, knurrte Sophia, indessen sie nun die Gebärende zwischen den Beinen abtastete, »die arme Frau hier wird’s bestimmt
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