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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nie in ihrer Nähe dulden wollen«, begann sie langsam zu erzählen, »doch als sie... krank wurde, so kam ich ihm gerade recht. Er dachte, dass ich von meinem schrecklichen Dienst, den ich an König Baudouin versehen hatte, alle Mittel kennen würde, um ihr Leiden erträglicher zu machen. Tatsächlich ist es so, dass ich uralte Geheimnisse hüte: Ich vermag die Sterne und den Gesang und Flug der Vögel zu deuten, ich kenne viele Gifte und Zaubereien, ich kann Mixturen brauen, die Leben retten und zerstören – nur Mélisande heilen kann ich nicht. Ich wusste stets mehr, als ich vor ihm eingestand – vor allem aber, dass es nichts Entsetzlicheres gibt, als einem Menschen zuzusehen, wie er vom Tod zerfressen wird.«
    »Er hat sie geliebt«, warf Sophia ein, »gewiss hat er sie geliebt... und tut es noch. Er hat sie nicht im Stich gelassen.«
    »Ich glaube vielmehr«, bemerkte Isidora kühl, »dass ihre Schönheit und ihr Liebreiz der größte Besitz waren, den er jemals hatte. Diesen will er nicht verlieren – und kämpft erbittert darum, indessen ich mich fügte, meine Schöne so entsetzlich enden zu sehen...«
    »Er aber kann es nicht«, keimte in Sophia Verstehen, »er versucht mit Zauberei... und mit dem Lebenselixier den schrecklichen Verfall aufzuhalten.«
    »Man muss ihm eines lassen«, gab Isidora zu. »Er quält sich für sie wie kein anderer. Als ein Priester ihm sagte, sie sei von der Geisel Gottes getroffen, was hieße, sie könne nicht sündenrein sein, sondern trüge selbst die Schuld, so ging er auf ihn los und schlug ihm das Gesicht zu Brei. Als die Ärzte nicht wagten, sich ihr zu nähern, vielmehr befahlen, sie müsse aus Antiocheia vertrieben werden und sich zu ihresgleichen gesellen, entschied er, das heilige Land zu verlassen und sie heimlich nach Frankreich zu bringen. Und hier nun treibt ihn nichts anderes, als ein Mittel gegen den Tod zu finden. Freilich – trotz all diesem Trachten verhält es sich so, dass er seit Jahren ihren Anblick nicht mehr erträgt und sie meidet. Dies ist, was meine Herrin von allem am meisten schmerzt. Der Körper mag verwest sein – nicht aber ihr Geist. Sie weiß, dass er sie fürchtet, dass sie ihn anwidert, und leidet entsetzlich darob. Manchmal war ich so voller Hass gegen ihn, dass ich meinte, ich müsse ihn selbst noch mehr bestrafen als das Schicksal ihn mit einem aussätzigen Weibe.«
    Die unerbittliche Strenge füllte wieder ihre Züge und vertrieb den Kummer. Erst jetzt begriff Sophia, warum diese Strenge stets in ihrem Blicke gelegen hatte, wann immer Isidora sie gemustert hatte.
    »Meine Ehe mit ihm ist nicht gültig«, murmelte Sophia und dachte an den König und Agnèse und dass ihr ein rachsüchtiger und zugleich erfindungsreicher Gott die passende Strafe für den Verrat an Isambour auferlegt hatte.
    »Er hätte Euch niemals heiraten dürfen!«, wetterte Isidora. »Niemals! Manchmal – als es Mélisande noch besser ging – stand sie am Fenster, um von der Feme Théodore zu betrachten, der denkt, dass seine Mutter tot sei. Sie sah auch Euch – und fragte mich, wer Ihr seid. Stets versuchte ich, sie zu belügen, wenngleich ich nicht weiß, ob es mir gelang.«
    »Warum hat er’s nur getan?«, fragte Sophia, »Warum mich zur Frau genommen?«
    »Der König erlaubte ihm die Heimkehr – Bertrand war ihm etwas schuldig. Vor allem aber...«, Isidora schwieg kurz und fuhr hernach fast höhnisch fort: »Eines Tages hätte man ihn vielleicht zu einem Bund gedrängt mit einer, die aus wichtiger Familie stammt. Ihr wart ein Niemand. Ihr konntet nicht einfordern, dass er die Ehe... vollzog.«
    Unwillkürlich dachte Sophia an letzte Nacht, als er sie rüde zurückgewiesen hatte, und an viel frühere, da sie sein hartes Geschlecht gespürt, er jenes aber beherrscht hatte. Hitzig stieg ihr Beschämung ins Gesicht.
    »Er hat mit Euch darüber gesprochen?«, entfuhr es ihr.
    »Er musste es mir versprechen!«, rief Isidora heftig. »Nie hätte ich geduldet, dass er meine arme Herrin betrügt. Nie zugelassen, dass eine andere ihren Platz bei ihm einnimmt.«
    Sie erhob sich steif – und jäh dachte Sophia bei ihrem Anblick an einen Racheengel. Das rauschhaft schnelle, aufgebrachte Tun von vorher wich wieder nüchterner Berechnung.
    »Was hättet Ihr dagegen aber tun wollen?«, fragte sie langsam.
    Isidora lachte rau. »Ich bin meiner Herrin verpflichtet – und ihrer Ehre, sonst niemandem. Ich sagte doch bereits, dass ich Mittel kenne, die Leben schaffen, und

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