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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Dies ist das Bitterste von allem! Ihr habt mir meinen Gatten gestohlen! Ihr habt ihm die Tochter geboren, die ich einst hätte haben sollen! Ihr habt mir sein Begehren genommen! Zwischen Euren Schenkeln wurde sein Geschlecht wieder fest und hart! Sagt, hat er sich besser beherrschen können?«
    Sophia senkte den Kopf, von der Lüge zu Fall gebracht, die sie einst benutzt hatte, um Isidora einen Mord aufzuschwatzen. Kurz war sie geneigt, Mélisande in den damaligen Plan einzuweihen, ihr anzuvertrauen, dass Bertrands Leib zwar manchmal verräterisches Begehren bekundet hatte, nie aber sein Geist. Er war ihr treu geblieben. Er mochte sich vor ihr geekelt haben, doch sie war seine Frau.
    »Ich wusste nichts von Euch... bis ich schwanger ging«, sagte Sophia anstelle der Wahrheit.
    Mélisande überhörte das leise Zögern in ihrer Stimme. »Gewiss, wir waren beide Betrogene«, gab sie zurück. »Doch Isidora hat mir erzählt, dass Ihr meinen Sohn nicht froh macht, dass Ihr ihn immer nur drängt und quält und für Eure Zwecke benützt.«
    »Das ist nicht wahr, ich habe große Pläne mit ihm!«, verteidigte sich Sophia. »Er soll nicht nur Gelehrter, sondern der engste Berater des Thronfolgerpaares werden. Er soll...«
    »Mein Sohn hat mich entdeckt!«, fiel Mélisande ihr ins Wort. »Er hat den Weg zu mir gefunden. Und in seinem Gesicht steht nicht Bertrands Ekel. Ihr habt alles andere gekriegt – aber er, er ist zu mir gekommen! Das verheißt doch, dass er mir gehört, dass ich nun wieder seine Mutter bin, nicht länger Ihr!«
    »Redet keinen Unsinn!«, rief Sophia, und die Scheu vor der Kranken ward von Grimm verstellt, den ihre Worte säten. »Théodore ist ein Krüppel, denn Ihr wart nicht einmal fähig, ein gesundes Kind zu gebären. Ich aber habe ihn zu dem gemacht, was er nun ist. Ich habe seine Erziehung übernommen und ihm sein jetziges Leben ermöglicht! Ganz gewiss bedarf er keines siechenden Weibs, wie Ihr es seid, keiner langsam und stinkend Verendenden!«
    Unter dem Leinenverband war nur die Öffnung des Mundes zu sehen, nicht die Lippen. Dennoch deuchte es Sophia, als würde Mélisande sie spöttisch verziehen, desgleichen wie ihre blinden Augen ihr plötzlich einen scharfen Blick zuzuwerfen schienen.
    »Ihr habt keine Befugnis, über sein Leben zu entscheiden«, sagte sie kühl. »Ich werde ihn darin bekräftigen, dass er selbst bestimmt, welchen Weg er zu gehen hat.«
    »Aber...«
    »Ich werde gemeinsam mit ihm überlegen, was das Richtige für ihn ist, nicht, was Ihr aus ihm machen wollt.«
    Sophia starrte sie fassungslos an. Der scharfe Geruch der Essenzen, der Mélisandes langsame Verwesung verbergen sollte, brachte sie plötzlich zum Würgen. Sie brachte kein Wort mehr hervor, keine Drohung, kein Bitten. Umso lauter freilich tobten ihre Gedanken.
    Sie will ihn mir streitig machen. Gerade in dieser schweren Zeit, da ich ihn so dringend nötig habe, will sie ihn mir wegnehmen. Ich muss sie loswerden.
    Zwei Tage später begegnete Sophia Luc Arnaud, und er war der hässlichste Mann, der ihr je vor Augen gekommen war.
    Quer durch sein Gesicht ging eine schwülstige Narbe wie ein überfetter, blau verfärbter Wurm, der sich krümmte, wenn er sprach. Das eine Auge war darob nach links gezerrt, die Oberlippe nach rechts, sodass es schien, als hätte man zwei unterschiedliche Gesichter zusammengenäht.
    Trotz der Verunstaltung lachte er viel und laut – vor allem über Sophias angewidertes Gesicht.
    »Einer edlen Dame wie Euch ist solche Fratze noch nicht untergekommen, wie?«, kreischte er und kratzte sich ohne Scham nicht nur am Kopf und in den Achselhöhlen, sondern auch zwischen den Beinen. »Herrgott, bei Loche hat’s mich erwischt. Hab’ die Streitaxt ins Gesicht bekommen, und jeder, der mich mit gespaltenem Schädel gesehen hat, hielt mich später, als ich wieder kriechen konnte, für den Auferstandenen. Mit dem Kämpfen war’s vorbei, verdammter Teufel, und jetzt habe ich mich im Siechenhaus rumzutreiben. Der Tod hat mich hier vergessen, wiewohl er Tag für Tag ein und aus geht – gewiss weil er denkt, er hat mich schon geholt.«
    An seiner rechten Hand fehlten zwei Finger – die Stümpfe waren rot und eitrig. Rasch verbarg Sophia die eigenen Hände hinter dem Rücken.
    »Nur kein Grausen zeigen!«, lachte Luc. »Nun, wo Ihr’s doch hierher zu mir geschafft habt! Das wagen wenige der vornehmen Pariser...«
    Er spuckte gelben, stinkenden Speichel und hieb sich amüsiert auf die

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