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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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getränkte Tuch vom Mund sinken.
    »Ja, so ist es...«, bestätigte Mélisande raunend. »Gott bestraft uns nicht nur mit der Geißel der Krankheit, sondern obendrein mit unstillbarem Begehren! Ich war Bertrand nicht sonderlich zugetan. Er war so ungebärdig... so wild... In unserer Hochzeitsnacht trieb ihn so heftiges Begehren nach meinem Körper, dass er seinen Samen schon auf meinem Bauch ergoss und nicht mehr vermochte, in meine Scham zu dringen.«
    Sophia gelang es wieder, das Tuch fest auf die Lippen zu pressen, aber sie erzitterte jäh. Eiskalt war’s in dem Raum, wohl weil die Aussätzige unter dem dicken Leinenverband genug zu schwitzen hatte.
    »Mélisande...«, warf sie ein und begriff nicht, warum die Aussätzige ihr die beschämende Erzählung zumutete.
    »Hört mir zu!«, befahl jene jedoch schrill und pochte darauf, dass das Wort ihr gehöre. »Ich weiß, wer Ihr seid, entgegen Isidoras mühseligen Lügen. Bertrand hat Euch geheiratet, obwohl’s ihm zu meinen Lebzeiten nicht erlaubt war. Sei’s drum. Lasst mich weiterreden!... In den ersten Jahren unserer Ehe suchte ich mit vielerlei Ausflüchten zu vermeiden, bei ihm zu liegen. Doch als ich in den Achselhöhlen das erste Mal Knoten spürte und sich an Beinen und Händen erste nässende Wunden bildeten, die auf meinen Kleidern zu kleben begannen – oh, was hätte ich gegeben, hätte er mich ungestüm genommen wie einst, nur um zu wissen, dass die verfluchte Krankheit sein Begehren nicht hemmen könnte.«
    »Mélisande!«, rief Sophia ein zweites Mal. Sie war nicht gekommen, um das zu hören – doch weil ihr eigentliches Trachten sie in dem Raum festhielt, fuhr Mélisande mitleidslos fort.
    »Ich sagte: Hört mir zu! Er wollte es mir nicht zeigen, aber er hat sich vor mir geekelt. Sein Glied blieb jämmerlich weich und blass, als hätte ihn ein böser Sarazenenfluch getroffen. Er versuchte, über mein Gesicht zu streicheln, aber mit seinem Leib rückte er von mir ab. Und am nächsten Tag schenkte er mir eine goldene Kette mit einem roten Rubin – für ihn ein Zeichen, dass er mich trotz allem liebte und immer lieben würde, für mich der Beweis, dass mein Leben nun zu Ende war.«
    Sophia hatte den Blick gesenkt. Schwer fiel’s, die weiße, starre Gestalt zu betrachten. Die Stimme, die aus ihr hervorkam, war das einzig Lebendige – jedoch merkwürdig nackt, weil keine Gesichtszüge, kein Erröten der Wangen, kein Runzeln der Stirne sie begleiteten. Obendrein wusste sie, dass es gefährlich sein konnte, zu lange hier zu weilen. Allein der Atem eines Leprakranken konnte – im Beisein des Gesunden ausgehaucht – bei jenem gleiches Leiden wecken. Dann würde die Leber beginnen, zu viel schwarze Galle zu spucken, und diese alsbald den ganzen Körper verkleben und zerstören.
    »Ich habe euer Geschick nicht verschuldet«, erklärte Sophia darum schnell, um den Worten ein Ende zu bereiten. »Und darum geht es nicht. Ich bin hier, weil Théodore...«
    »Ich trage diese Kette bis heute«, unterbrach Mélisande sie ungerührt und dachte nicht daran, sich kurz zu fassen. Sie begann mit einem Handstumpf in dem Verband zu wühlen und zwischen zwei Lagen das Schmuckstück hervorzuziehen. Der Rubin glänzte matt, aber hob sich auf der form- und farblosen Gestalt wie ein Blutfleck hervor. »Sie ist mein Fluch. Wisst Ihr... in meiner Heimat ist es üblich, für einen Aussätzigen das Requiem zu lesen, ehe man ihn aus der menschlichen Gemeinschaft stößt. In der Mitte musste ich liegen, ein schwarzes Leichentuch bedeckte meinen Körper. Wort um Wort musste ich hören, wie die Priester für meine Seele beteten – und meine Schwestern weinten. Heuchlerinnen! Sie haben mir doch stets meine Schönheit geneidet... Doch nun würde ich diese Schönheit verlieren, meine Gesundheit, mein gewohntes Leben. Ebenso würde ich Bertrands Liebe verlieren, seine Leidenschaft, sein Begehren. Und meinen Sohn – ihn musste ich auch aufgeben. Denn wenn schon mein Gatte über meinen Anblick erschrocken war, wie sollte ich ihn dann einem Kind zumuten? Wie sein Geschick mit dem einer langsam Verfaulenden verknüpfen?«
    Die Verlegenheit setzte Sophia mehr zu als nur der üble Gestank. »Was... was wollt Ihr mir denn sagen?«
    Mélisande lachte rau, doch griff sich alsbald an die Brust, als würde es dort schmerzen.
    »Isidora versuchte stets, mich zu schonen und mir die Wahrheit zu verheimlichen. Aber ich weiß es, ich weiß es! Während ich alles verloren habe, lebt Ihr mein Leben.

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