Die Chronistin
und ihr letzter Gedanke war, dass sie – trotz aller üblen Berechnung – Mélisande nur ihrem rechtmäßigen Schicksal zuschob.
Nun bedurfte es nur weniger Sätze, um ihr Vorhaben zu benennen und dieses Schicksal zu besiegeln.
»Schade«, grinste Luc Arnaud, nachdem sie geendigt hatte. »Schon freute ich mich auf einen Gast wie Euch!«
Sophia war gezwungen, ihn anzusehen.
Gottlob ist Mélisande schon längst blind, dachte sie, so muss sie diesen grässlichen Menschen nicht erschauen. Und wenn’s drinnen tatsächlich trocken und warm ist... so hat sie’s doch beinahe gut getroffen... nein, ich schulde ihr nichts, ganz gleich, was ich Isidora versprochen habe... ewig hätte Mélisande im Haus der Guscelins leben können... wenn sie nur niemals gewagt hätte, es mit mir aufzunehmen, mir Théodore streitig zu machen...
»Ich werde Euch gut bezahlen!«, erklärte sie mit grimmigem Nicken, um das eigene Tun abzusegnen.
Luc Arnaud grinste und verzichtete diesmal, sich zu kratzen, um sich stattdessen das schief verzerrte Auge zu reiben.
»Hab’s Euch doch schon gesagt – hier ist kein schlechtes Leben. Schon Jesus war den Aussätzigen zugeneigt; genügend eifern ihm nach, um uns unser Auskommen zu sichern. Nein, wenn ich Euch tatsächlich diesen Gefallen tun soll, verlange ich anderes als Geld von Euch.«
Sein Lachen war so schäbig wie die grauen Lumpen, die er trug.
»Was wollt Ihr?«, fragte Sophia unfreundlich.
Er kroch näher an sie heran, und als sie zurückweichen wollte, hielt er sie an der Schulter fest.
»Hübsche Dame, seid nicht barsch zu einem Mann wie mir! Ja gewiss, das beste Leben, das einem wie mir noch möglich war, habe ich hier bekommen – allein, es fehlt mir an hübschen Mädchen, die dann und wann meine Brust kraulen und meine Eier lecken. Alles Geld würde ich den Aussätzigen wegnehmen und den Huren geben, wenn sie mich denn nur erhörten. Aber so Gott will, zähle ich nach dem Gesetz zu den Kranken, und keine rührt mich an. Längst hab ich’s satt, mir den Schwanz selbst wund zu reiben!«
Sophia fühlte, wie ein Würgen in ihrem Hals aufstieg. Für einen Moment fürchtete sie, sie müsste sich auf die bloßen Füße des Mannes erbrechen.
»Noch ein schamloses Wort, und ich sag meinem Kutscher, er soll Euch erschlagen!«
»Ach geh!«, lachte Luc Arnaud, steckte seine Hand in den Hosensack und spielte mit dem Gemächt. »Der wagt es doch auch nicht, mich anzurühren! Und seid auch unbesorgt, schöne Dame! Ich würde es nicht wagen, Eure Ehre zu bekleckern. Nein, nein, auch an einem Ort wie diesem habe ich den Anstand nicht verlernt. Allein... wenn ich denn tun soll, worum Ihr mich bittet, so sei mir im Gegenzug gestattet...«
Er setzte eine Pause und schob sein Gesicht zu ihrem.
»So sei mir gestattet, dass ich nach all den Jahren hier die warme, weiche Haut Eures Gesichtes befühlen darf. Die Erinnerung daran soll mir manch schönen Traum bereiten!«
Als Luc Arnaud mit seinen Männern kam, um Mélisande zu holen, schloss sich Sophia in ihrer Schreibstube ein. Die Dienstboten hatte sie instruiert, den Männern Folge zu leisten, Isidora heimlich einen Saft aus Binsenkraut, Alraunwurzeln und Mohn ins mittägliche Mahl gemischt, der sie alsbald schläfrig machte und gewiss für einige Stunden ruhig stellen würde. Théodore und Cathérine schließlich hatte sie zu Bertrands Schwester Adeline de Brienne, deren jüngster Sohn in der Zeit des Interdikts gestorben war, geschickt. Drei weitere Kinder hatte jene geboren, doch es waren allesamt Mädchen, und die Mutter, die nie aufhörte, um den ungetauften Jüngsten zu trauern, weigerte sich, sie anzurühren. Auf dass sie dennoch im Krankheitsfall gerüstet wäre – und dies war der Vorwand, um Théodore und Cathérine loszuwerden –, hatte Sophia ihr eine Kräutermischung geschickt.
Nun saß sie tatenlos. Wiewohl gewillt zu lesen und zu schreiben, stützte sie die Ellenbogen auf das Pult und versteckte das
Gesicht zwischen den Händen. Trotz der Dunkelheit war es schwer, sich von dem abzulenken, was sich eben im Hause zutrug. Gewiss würde Luc Arnaud die arme Frau packen. Gewiss...
Sophia fühlte noch seine gierigen Hände auf ihrem Gesicht ruhen. Zuerst hatte er sie, die sie ihm diese Gefälligkeit nicht hatte verweigern können, nur ganz leicht berührt und die Handfläche lediglich aufgelegt. Das Stöhnen, das ihn hierbei überkam, war nicht gierig – sondern sehnsüchtig, sanft und traurig. Erst später begann er sie zu
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