Die Chronistin
magere Vagabund eine ordentliche Mahlzeit bekäme.
Oh, wie gerne hätte es Sophia gesehen, er würde ihn stattdessen endlich zum Teufel jagen! Christian hatte das Trivium – die drei Fächer Grammatik, Rhetorik und Logik – noch nicht bestanden und durfte sich darum nicht einmal Baccalaureus nennen, obgleich er seit mehr als zwei Jahren Student der Universität war. Seitdem er aus der Provinz nach Paris gekommen war, um hier die Juristerei zu lernen, schien er nur auf Vergnügen aus zu sein – und suchte ehrwürdige Häuser wie das ihre heim.
»Ich habe meiner Ratte allerhand Kunststücke beigebracht«, ertönte nun seine Stimme, die manchmal samtweich klang und manchmal klirrend vor kaltem Spott. »So etwas haben die Pariser noch nie gesehen. Ich denke fast, ich...«
»Du solltest mein Haus meiden«, fuhr Sophia dazwischen. »Dies ist ein ehrwürdiger Ort. Hier gibt es keinen Platz für Gesindel wie dich, für einen elenden Spieler und Frauenfreund. Wohl weiß ich, dass du dich lieber mit Huren herumtreibst, als über den Büchern zu hocken, wie’s einem guten Studenten obliegt.«
»Ach?«, gab er zurück. Anstatt ihrer Schimpfrede zu spotten, begann er ausdauernd zu lachen: Seine Mundwinkel bogen sich dabei nach oben und verzerrten das ganze Gesicht zu einer schauerlichen Maske, und seine Augen glänzten feucht von Tränen, die schließlich sprühten.
»Selbst der große Gelehrte Alain de Lille hat ein Einsehen, wenn man sich mit Frauen abgibt«, entgegnete er schließlich, als er die Fassung wiedergefunden hatte. »›War diejenige, mit der du es getrieben hast, schön?‹, fragte er einmal, und antwortete: ›Wenn ja, ist eine Milderung der Strafe angezeigt.‹ Oh, werte Sophia de Guscelin! Ihr wisst natürlich nicht, wovon ich spreche. Ihr lebt ja einer Eremitin gleich in diesem Haus vergraben und lasst Théodores Blick den einzigen sein, mit dem Ihr die Welt betrachtet. Was ich schade finde, denn Ihr seid eine sehr schöne Frau, die nicht dazu bestimmt ist, sich vor der Welt zu verbergen. Sei’s drum: Die Wahrheit ist, dass in der Rue de Glatigny und in der Rue de la Pelleterie die hübschesten Mädchen von ganz Frankreich uns bettelarmen Studenten schöne Augen machen und ihre gelben Kleidchen allzu keck heben. Viel zu teuer sind sie für unsereins – und geben es dennoch nicht auf, uns fortwährend zu becircen.«
Er tat noch mehr, als lästerliche Rede zu führen. Vertraulich nah trat er zu Sophia hin und begann sachte ihren Oberarm zu streifen – ein wenig nachlässig, als sei ihm jene Geste so vertraut, dass sie aus Zufall und Gewöhnung auch eine wie sie zu spüren bekam, und zugleich mit jenem sanften Mitleid, das wusste, dass gerade sie dergleichen bitter nötig hatte: Seit langem war ihr kein gesunder Mann mehr nahe gekommen.
Unwirsch rückte Sophia von ihm ab, wiewohl sie nicht verhindern konnte, dass Röte in ihr Gesicht stob. Seit sie Théodore der Dauphine zugeführt und für sich hernach beschlossen hatte, den Hof zu meiden, hatte keiner gewagt, sich so selbstherrlich über ihre kühle Distanz hinwegzusetzen, wie Christian es tat.
»Du bist ein elender Nichtsnutz!«, schimpfte sie.
Lachend ließ er den Arm sinken. »Erbarmen, verehrte Sophia, Erbarmen! Ich weiß, dass es um mein Seelenheil nicht gut bestellt ist – aber doch kann ich sagen, dass ich Théodores Wohl nicht mit dem eigenen schändlichen Leben ins Verderben zu reißen gedenke. Dies ist doch, was Euch am meisten sorgt, nicht wahr? Dass ich üblen Einfluss über ihn erlange! Und hier kann ich nur sagen: Ich färbe nicht auf ihn ab. Lang schon hat er seine Erlaubnis zu lehren – und bald wird er die große Disputation in der Aula führen und solcherart endgültig zum Doktor der Theologie ernannt werden.«
»Eben deswegen bist du kein rechter Umgang für ihn!«, zischte Sophia.
»Aber ist es für ihn nicht zwischenzeitig vergnüglicher, mit mir zusammen zu sein, als bei unseren Thronfolgern zu hocken? Man erzählt sich, dass die Dauphine sich neuerdings im Hebräischen übt – sofern sie inmitten der vielen Verpflichtungen Zeit dafür findet. Ich denke, ihr Verstand gleicht dem Euren, Sophia, wenngleich – gemach, gemach, ich will Euch die Einzigartigkeit nicht absprechen – sie länger zu lernen hat als Ihr. Oh ja, ich weiß von Eurer Gabe, Théodore hat mir davon erzählt – könnt Ihr mir nicht rechtzeitig vor einer Prüfung davon leihen? Wie auch immer: Anders als sein Weib ist der Dauphin dumm wie Stroh. Vermag
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