Die Chronistin
hockt und Euch mehr und mehr von jener schlichten Welt befreit, mit der sich unsereins abplagen muss.«
Sein Gesicht war beinahe so weiß wie der Leinenverband. Bleich hob es sich von den schwarzen Locken ab, die seine Tonsur umkränzten.
»Mir scheint, dein Kopf hat mehr abbekommen als bloß diese Wunde«, erklärte sie unwirsch und ob seines gedämpften, traurigen Tons verstört. »Ich fliehe doch nicht vor dieser Welt. Mein Gott, ich bin alt geworden, natürlich lebe ich gern zurückgezogen – aber ich weiß stets, was geschieht. Du bist’s, der mir berichtet. Ich bin dir dankbar – und ich bin auch stolz...«
»Lasst es gut sein!«, unterbrach er sie, und seine Stimme wurde erstmals kräftiger. »Ich bin dort, wo Ihr mich haben wolltet: Ich bin der persönliche Lehrer des Thronfolgerpaares, der bekannteste Magister an der Universität und in nicht allzu ferner Zukunft ein Doktor. Ich weiß, Euch stört es nicht, dass heutzutage plumpe Rechtgläubigkeit genügt, um auf den Lehrstuhl zu gelangen. Die klugen Professoren stehen unter der Fuchtel des Papstes, und jener hat genau festgelegt, wie viel Wissenschaft erlaubt ist. Wisst Ihr, wer nun als Großer gilt? Magister Jean-Albert! Dieser Dummkopf, dem Ihr einst den Kopf zusammengeflickt habt, jedoch nicht auch Weisheit einverleibt. Und jener zitiert am liebsten Petrus Comestor, Petrus Lombardus und Präpositius von Cremona – gewiss jedoch nicht Aristoteles. Das waren noch Zeiten, als Amaury de Bène oder David Dinant lehrten und ihre Anhänger sich nach den Disputationen auf offener Straße prügelten.«
Théodore erhob sich ächzend, indessen Sophia ihn ratlos musterte. Selten hatte sie ihn in den letzten Jahren zufrieden erlebt und immerfort die Beschwerde über die Engstirnigkeit der Universität vernommen, jedoch vermeint, dies entspräche seiner Natur – desgleichen wie sein scharfer Spott. Jener aber fehlte – und zurück blieb nichts weiter als Niedergeschlagenheit und Erschöpfung.
»Du hast es nicht nötig, dich bei den Professoren Liebkind zu machen«, erklärte Sophia schnell. »Du bist der engste Vertraute des Dauphins!«
Er wandte sein Gesicht ab, aber sie trat mit schnellen Schritten vor ihn hin, um hineinzusehen.
Christian, ging es ihr jäh durch den Kopf, vielleicht ist es dieser leichtsinnige, flatterhafte, unbelehrbare Schuft, der ihm Flausen in den Kopf setzt und mit seiner Ratte so lange vor ihm Streiche aufführt, bis Théodore des eigenen ernsthaften Lebens überdrüssig ist!
»Gewiss«, murmelte Théodore. »Louis und Blanche sind wissbegierig. Sie schätzen mich. Es bleibt zu hoffen, dass...«
Er senkte seinen Blick und schwieg.
»Was?«, rief sie fordernd. »Was meinst du?«
»Es bleibt zu hoffen, dass ihnen diese Wissbegierde nicht zu gefährlich wird.«
»Pah! «, machte sie leichtfertig. »Was könnte daran gefährlich sein, Bücher zu lesen?«
Er zuckte die Schultern. »Fragt nicht mich, sondern den König.«
»Pah!«, wiederholte sie. »Der König! Gewiss hat Frère Guérin ihm nicht halb so viel Bildung in sein Ohr geträufelt wie du dem Dauphin.«
Sie verstand die Wendung nicht, die seine Rede nahm. Überhaupt verstand sie nicht, warum er sich so abgekämpft gab, so widerwillig. Führte er nicht ein brauchbareres Leben, als sie selbst sich jemals erlügen, erkämpfen, ermorden hatte können?
In Augenblicken wie diesem kam der ansonsten gut gehütete Neid hervorgekrochen, nagte bitter und gallig, vermengte sich mit Widerwillen und Überdruss ob seines Schwächelns und Jammerns. Sie verdeckte ihn mit vermeintlicher Sorge um ihn.
Es ist gewiss Christians Einfluss, der ihn derart verdrießlich stimmt, dachte sie erneut und mit wachsendem Ärger. Und auch Cathérine, die ihm die Ohren vollplappert. Wie soll er sich auf seine wahren Ziele besinnen, muss er sich ständig von Dummköpfen hinterfragen lassen? Ist Christian überhaupt befähigt, über eine Sache ernsthaft zu reden? Und Cathérine – hätte sie ihn nicht am liebsten fortwährend an ihrer Seite kleben?
Théodore fuhr fort, aber sprach von keinem der beiden. »Der König ist erstarkt«, murmelte er vor sich hin. »Der Papst, der ihn so lange sträflich ignorierte, besinnt sich seiner, weil er ihn im Kampf gegen die Ketzer im Süden braucht.«
»Ja doch, gewiss«, antwortete sie ratlos. »Aber was hat das mit Louis’ und Blanches Gelehrsamkeit zu tun?«
»Und was mit dem frömmelnden, engstirnigen Geist an der Universität?«, fragte er zurück. Ein
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