Die Chronistin
falsches Wort über Mélisande an ihn verliert, dann jage ich Euch aus dem Haus, auf dass Ihr in den dreckigen Straßen von Paris verhungert und erfriert. Denkt nicht, dass Théodore Euch davor bewahren kann. Denn wir sind uns doch einig – dass er zu schwach ist, um mir echten Widerstand zu leisten.«
Isidora hielt ihrem Blick stand.
»Beim Leben Eures Kindes... beim Leben von Cathérine habt Ihr es mir damals vor zehn Jahren geschworen.«
Sophia senkte den Blick, es wurde ihr immer unbehaglicher. Sie wollte nicht mehr an den Schwur denken, den Isidora ihr nun so wütend vorhielt. Sie wollte das Grauen der letzten Tage endlich hinter sich bringen, sich nicht mehr fragen müssen, wozu sie fähig war, warum ihr Gewissen sich ihrem sturen Willen ergab und erst hinterher mit seinem schwächlichen, weinerlichen Flüstern über all ihre Untaten, alle ihre Sünden jammerte – wie ein altes, hilfloses Weiblein, das an der Welt verzweifelt, aber zugleich an ihr zugrunde geht.
»Das Leben meines Kindes aber ist mir nicht viel wert!«, erklärte sie kühl und freute sich beinahe diebisch, dass diese Worte Isidora noch mehr zusetzten als das Brechen ihres Schwurs. »Cathérine ist dumm, geschwätzig, zu nichts zu gebrachen...«
Und sie erinnert mich an Guérins Verrat, setzte sie in Gedanken hinzu – der eigentliche Grund, warum sie das Mädchen verachtete.
Laut fuhr sie fort: »Ihr seht – ein Schwur in ihrem Namen zählt für mich nicht. Es fällt mir nur allzu leicht, ihn zu missachten.«
Eine Weile verstummte die Sarazenin vor Entsetzen über die herzlose Frau.
»Verfluchtes Weib!«, murmelte sie schließlich kaum hörbar und wiederholte, ohne es zu wissen, die Worte, die auch Mélisande ihr vor dem Tode zugezischt hatte. »Verfluchtes Weib! Ihr denkt, Ihr hättet Théodore für Euch gewonnen und könnt ihm aufzwingen, was immer Ihr wollt. Doch Ihr irrt Euch. Ihr irrt Euch gewaltig.«
Mehr sagte sie nicht. Sie nickte schmallippig, enthielt sich weiterer böser Worte, die auf ihrem Gesicht geschrieben standen, und drängte an Sophia vorbei zu Théodore, um ihm in seinem Gram zur Seite zu stehen.
Ich darf es nicht aufschreiben, dachte Sophia mit leisem Schaudern. Ich darf es nur nicht aufschreiben. Nichts von Henri Clément, der mich zu dieser Untat zwang, nichts von Luc Arnaud, der mir über die Wange streichelte, nichts von Mélisandes roter Kette, die ich erhaschte, als sie sprang.
Nein, ich darf es nicht aufschreiben. Es soll nicht wehtun.
Ich muss das Unwichtige vom Wichtigen trennen.
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
Roesia starrte Sœur Yolanthe an.
Die Neugierde, die deren bittere Worte in ihr gesät hatten, lenkte von dem säuerlichen Geschmack ab, von dem grausigen Bild der erdrosselten Gret, die immer noch tot in der Schreibstube hinter ihnen hockte. Solange sie mit Yolanthe über Sophia sprach, war der Augenblick aufgeschoben, da sie vor die anderen Schwestern zu treten und von ihrem Fund zu berichten hatte.
»Welche... welche Geschichten hat dir Blanche von Sophia erzählt?«, fragte Roesia. »Warum hast du solch schlechte Meinung von ihr? Ich dachte immer, dass die Dauphine Sophia viel zu verdanken hatte. Ich meine... als ihr Gatte, König Louis, starb und sie Regentin ihres Sohnes wurde – hat es ihr da nicht geholfen, von einer solch gelehrten Frau wie Sophia unterwiesen worden zu sein?«
Erleichtert gewahrte sie, dass sich ihre Stimme von dem Schrecken erholt hatte. Sie war nicht länger belegt.
»Ich weiß es nicht«, bemerkte Sœur Yolanthe mit bitterem Tone. »Ich war noch blutjung, als ich in die Dienste der Dauphine Blanche trat, die später Königin wurde, und was sie von Sophia gelernt hat oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Jedoch weiß ich mit Bestimmtheit, was Sophias Tochter Cathérine unter ihrer Mutter zu leiden hatte... Lange ist sie nicht darüber hinweggekommen. Und ich habe es nie verstanden, warum Sophia dem eigenen Kind das antun konnte!«
»Ist es wahr, was man sich über Cathérine und Théodore de Guscelin erzählt«, begann Roesia raunend, »dass sie den eigenen Bruder auf verbotene Weise liebte und dass sie zu diesem Zwecke selbst einen Pakt mit dem ... ?«
Roesia konnte das Fürchterliche nicht aussprechen.
Sœur Yolanthe zuckte die Schultern. »Sophia war den beiden keine gute Mutter, auch wenn Théodore ihr mehr bedeutete als Cathérine«, unterbrach sie sie schnell. »Trotzdem hätte sie ihn beinahe vollends ins Unglück gestürzt... aber das ist
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