Die Chronistin
eine andere Geschichte. Das geht mich nichts an. Ich habe sie vor allem dafür verachtet, was sie der Dauphine Blanche angetan hat.«
Roesia blickte sie fragend an.
»Was... was hat sie ihr denn angetan?«
»Ihr wisst nichts davon?«, rief Sœur Yolanthe aus. »Von jenem großen Skandal, der den Dauphin Louis beinahe die Herrschaft kostete?«
»Ich habe von dem Gerücht gehört, Sophia hätte Königin Isambour verraten – nicht aber, dass sie auch über die Dauphine Blanche Unheil brachte.«
Sœur Yolanthe lachte bitter. »Sophia hat Isambour später sogar benutzt, um sich bei Blanche wieder Liebkind zu machen«, fuhr sie fort. »Ich weiß, vielleicht ist es nicht richtig, Schlechtes über sie zu sagen. Sie hat Blanche das Leben gerettet, als jene den ersten Sohn gebar. Vielleicht hat sie der Dauphine auch genutzt, solange Sophia ihr selbst mit Klugheit und Mut zur Seite stand. Doch dann hat sie Blanche sich selbst überlassen, hat sich verkrochen und Théodore vorgeschickt, und damit begann das Übel...«
Roesia wartete darauf, dass sie fortfahren möge. Eine sachte Erinnerung regte sich in ihr. Es war, als hätte sie all das, was Yolanthe da sprach, schon einmal gehört, wenngleich mit anderen Worten. Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie ihrem Gedächtnis all das magere Wissen über Sophias Vergangenheit abringen, doch es gab nicht mehr preis als diese vage Ahnung.
Alsbald stiegen wieder Schmerzen in ihre Schläfen.
»Was ist denn dann geschehen?«, fragte sie.
Yolanthe deutete beschämt auf die geschlossene Tür des Skriptoriums.
»Vielleicht ist jetzt nicht der rechte Augenblick, um darüber zu sprechen.«
»Aber vielleicht«, bedrängte Roesia sie, »vielleicht lässt sich nur auf diese Weise erklären, wie es zu diesen schrecklichen Morden kam. Vielleicht...«
Sie ächzte. Die Kopfschmerzen wüteten wie glühende Spitzen, und in ihrem Magen, der seinen Inhalt eben noch heraufgespieen hatte, rumorte es.
»Nun«, setzte Yolanthe hinzu, »genau betrachtet traf an diesem schrecklichen Skandal vor allem Théodore die Schuld. Hätte Sophia zur rechten Zeit davon gewusst – vielleicht hätte sie ihn warnen, ihn abhalten können. Ja gewiss – was er an Schlimmem anrichtete, hat sie nicht bezweckt. Und dennoch: Sophia war es, die...«
Sie brach ab.
Eben kamen einige der Schwestern gestürmt, erblickten die bleiche, schweißnasse Roesia und die verschlossene Tür des Skriptoriums.
»Habt Ihr sie gefunden?«, riefen sie. »Wisst Ihr, wo Gret sich versteckt?«
Kapitel XIII.
Anno Domini 1213
Aus der Chronik
Im Jahre 1213 traf Jean sans Terre, der niemals aufgehört hatte, Frankreich das Leben schwer zu machen, das gleiche Schicksal wie seinen größten Widersacher König Philippe. Er überwarf sich mit dem Erzbischof Stephan Langton, wurde vom Papst zur Versöhnung aufgefordert und schließlich – als er sie verweigerte – unter den Kirchenbann gestellt.
Philippes Schadenfreude war grenzenlos. Schon plante er eine Invasion Englands, indem er sich als vermeintlicher Vollstrecker des päpstlichen Willens aufspielte, und ließ zu diesem Zwecke seinen Sohn Louis ein Heer aufstellen. Doch kaum machte der sich im Namen seines Vaters auf in den Krieg, so besann sich Jean sans Terre – die Demütigung durch Philippe noch mehr fürchtend, als die durch den Papst.
Anstatt siegreich zurückzukehren, war für Louis die erwartete große Schlacht ungekämpft geblieben. Tatenlos kehrte er nach Paris zurück, von einem Vater erwartet, der Jean sans Terre’s Versöhnung mit dem Papst bedauerte, sich heimlich jedoch über den fehlenden Erfolg freute – gleichwohl er selbst ihn ausgesendet hatte, jenen heimzubringen.
Vielleicht fiel es ihm schwer, dem Nachwuchs zu gönnen, was er selbst nie erreicht hatte. Vielleicht war es besser, Louis käme nicht als strahlender Eroberer Englands heim.
Es blieb nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Schon stürzte er sich mit jenen Kräften, die in England geschont wurden, in den Krieg gegen den aufrührerischen Ferrand von Brabant.
»Iiiiih! Was für ein ekelhaftes Tier! Eine Ratte soll man erschlagen, anstatt mit ihr zu spielen.«
Zuerst war die Stimme von der Last der Gedanken gedämpft. Die Zahlen beschäftigten Sophia mehr als der störende Laut, denn sie saß am Abacus, einer Rechentafel, mit der man die schwierigsten Zahlenaufgaben lösen konnte.
»Christian! Nimm diese Ratte weg! Ich kann das Vieh nicht ertragen.«
Sophia runzelte die Stirne und machte eine
Weitere Kostenlose Bücher