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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nichts in seinem Kopf zu behalten und keine Zusammenhänge herzustellen. Ich würde sagen, darin gleicht er mir... und warum sollte es Théodore darum mehr schaden, auch mit mir manch ausgewählte Stunden zu verbringen? Natürlich nur, wenn Ihr ihn nicht gerade unter Eurer Fuchtel habt, ihn entweder zum Bücherstudium antreibt oder dazu, sich beim blassen Louis und bei der ehrgeizigen Blanche Liebkind zu machen.«
    Sophia wollte zur wütenden Entgegnung ansetzen. Am meisten setzte ihr zu, dass dieser elende Nichtsnutz trotz Faulheit und Flatterhaftigkeit nur allzu dreist den Anschein weckte, dass er die Menschen durchschaute, dass er von deren Wesen so viel Kenntnis hatte wie sie von allen Wissenschaften.
    Gewiss, er verurteilte sie nicht, weil sie sich die Welt nach ihrem Willen zurechtgebogen hatte, um ihr hernach den Rücken zuzukehren, aber er sparte nicht an Spott, der meistens ihrem forschen Umgang mit Théodore galt.
    Für heute hatte er es damit zu weit getrieben. Kein einziges Wort wollte sie mehr hören, ihm lieber entgegenplärren, dass sie sein Antlitz nicht länger dulden wollte, er sich rausscheren sollte und sie nicht übel Lust hätte, ihn eigenhändig auf die Straße zu prügeln, wenn er’s nicht freiwillig täte.
    Noch ehe sie jedoch zum barschen Befehl ansetzte, öffnete Cathérine den eben noch trotzig verschlossenen Mund und kreischte auf.
    Diesmal wurde sie nicht von der zahmen Ratte dazu bewogen, die näselnd aus Christians Kleidung hervorgekrochen kommen war und sich nun auf seinem muskulösen Oberarm schlängelte, sondern von Théodores Anblick. Während des Streits war er eingetreten und von allen unbemerkt still auf einen Stuhl gesunken.
    Von seiner hohen, feinen Stirne troff dunkelrotes Blut.
    Sophia versorgte seine Wunde.
    Schweigend presste sie ein kalt getränktes Leinentuch auf den Blutfluss, tränkte die aufgerissene Haut mit brennendem Anissaft und wickelte dann einen – in weißen Wein getauchten – Verband um seine Schläfen. Ihre Berührungen fielen so schnell und distanziert aus wie stets, wenn sie einen menschlichen Leib versorgte.
    Die Heilung von Kranken war in den letzten Jahren der einzige Zweck gewesen, für den sie noch das Haus verließ. Sie selbst benannte ihr Wirken als Pflicht – sie heilte nicht aus Mitleid, sondern um ihre vielen Sünden abzubüßen. Nur selten gestand sie sich ein, dass noch mehr als dieses Wollen sie der Trotz antrieb – gezeugt an jenem Nachmittage, da Henri Clément sie nicht zu dem verwundeten Ritter vorgelassen hatte, und mit dem späten Triumph besiegelt, dass die Menschen ihrer bedurften, gleichwohl sie nur ein Weib war.
    So machte sie sich zwar nicht wichtig wie manch andere Heiler, die mit dem Harnglas ausgerüstet durch die Gassen schritten und lautstark ihre Künste anpriesen, aber gewährte jedem ihren Ratschlag, der bei ihr klopfte und diesen erbat. Sie nähte Wunden, untersuchte Blut und Urin und stellte das Gleichgewicht der vier Körpersäfte her, indem sie dem einen schwarzen Wein verschrieb oder dem anderen gleiches Getränk verbat. Sie braute ein Elixier aus Hirschknochen, das das Herz stärkte, riet Wermut bei Kopfschmerzen und Schlehenblüten gegen Augenleiden. Wenn einer mit wundem Zahnfleisch kam, so gab sie ihm Natterwurz und Efeu zu kauen.
    Ebenso genau und zugleich freudlos wie diese Behandlungen geriet nun die Versorgung von Théodores Wunde. Sie sprach mit ihm erst, als der Verband angelegt war.
    »Du solltest mehr Acht geben!«, riet sie. »Du weißt, dass du nicht laufen kannst wie die anderen. So sieh zu, dass du dich bedächtig fortbewegst, anstatt über die eigenen Beine zu stolpern und dir den Kopf blutig zu schrammen.«
    »Sagt doch gleich«, murmelte er müde und abgekämpft und rieb sich den wunden Kopf, »dass ich ein Krüppel bin, der zu nichts taugt. Als ich ein kleiner Junge war, habt Ihr mir das schonungslos vorgehalten.«
    »Red keinen Unsinn!«, unterbrach sie ihn scharf, aber musterte erstmals sein Gesicht, um nicht nur nach Blutflecken zu suchen, sondern sein Befinden zu erkunden. »Nur weil du hingefallen bist, so heißt das noch nicht, dass...«
    »Ach, wenn ich mit Euch tauschen könnte!«, unterbrach er sie. »Dann könnte ich meine eigenen Wunden heilen... und Ihr könntet bei Blanche hocken und sie zur klügsten und gebildetsten Thronfolgerin machen, die Frankreich jemals hatte. Im Übrigen hat sie mich nach Eurem Wohlergehen gefragt... Ich sagte ihr, dass Ihr wie stets hinter den Büchern

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