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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gewahrte von alldem nichts.
    »Théodore!«, rief sie klagend. »Ich spreche von Théodore!«
    Langsam dämmerte in Sophia Begreifen. Blanche hatte Théodore angeboten, den ältesten Sohn zu unterrichten – nun freilich schwand mit dem Ableben des Kindes seine Chance auf dieses Hofamt.
    »Ach, hör auf zu schreien! Ich bin froh, wenn er seine Geistesgaben nicht nutzlos an einen unmündigen Knaben verschleudert. Und das sollte er doch gelernt haben – seinerzeit: Dass Übles daraus erwächst, die königliche Familie zu belehren.«
    Cathérine verbarg ihr Gesicht erneut hinter den Händen.
    »Es ist noch viel schlimmer«, klagte sie. »Er sagt, er wäre ohnehin niemals in Paris geblieben. Er sagt, dass er... gen Italien ziehen will. Und dann sehe ich ihn mein Leben lang nicht wieder!«
    Sophia stand neben ihm; sie drückte freudig die schmächtigen Schultern. »Gott sei’s gelobt, dass du dem Ratschlag folgst, den ich dir gab! Schwer fällt es mir, dir zu beschreiben, wie froh und erleichtert mich dein Entschluss stimmt.«
    Théodore hatte den Kopf kaum gehoben; die Hände verharrten auf der Platte des Tisches, und die Finger klopften leise darauf. Er schenkte ihr nicht seinen Blick, nur ein schwaches Seufzen. »Ach Sophia«, murmelte er.
    Sie packte ihn fester, ahnend, dass er ihr den Triumph nicht gönnte. Nun, sie wollte sich beherrschen und die Freude nicht länger laut herausschreien – am wichtigsten war doch, dass er sein Leben nicht länger vergeudete.
    »Ganz gleich, ob du mir verzeihst oder nicht«, fuhr sie gemäßigter fort. »Dies will ich dir trotzdem mit auf den Weg geben. Es ist gut, dass du nach Italien auf eine Universität gehst!«
    »Sophia«, seufzte Théodore ein zweites Mal, nicht traurig, sondern mild und schließlich mit einem entschuldigenden Lächeln.
    »Sophia«, wiederholte er und setzte verspätet zu seinem Geständnis an. »Sophia, ich gehe nicht nach Italien, um meine Ausbildung fortzusetzen. Ich gehe nicht nach Italien, um eine Universität zu besuchen.«
    Zerbrechlich wurde ihre Freude – und schon hieb er nicht nur Sprünge darein, sondern ließ sie klirrend zusammenfallen.
    »Ich gehe nach Italien, um mich einer Klostergemeinschaft anzuschließen – den Fratres Minores in Assisi, vor wenigen Jahren erst gegründet von einem Mann, den man Francesco, auf Lateinisch Franziskus, nennt und erlaubt von Papst Innozenz. Schon strömen deren Brüder durch ganz Europa und predigen den Verzicht auf jeglichen Besitz.«
    Er hielt den Blick vor ihr versteckt, aber zog die Hände von dem Tisch, um nachlässig nach ihr zu greifen, ahnend, dass sie schwanken könnte ob seiner Neuigkeit.
    Sie blieb aufrecht stehen, wiewohl ihr die Stimme beim Sprechen brach.
    »Bist du wahnsinnig geworden?«, rief sie kieksend. »Hast du den Verstand verloren?«
    Bedauernd ließ er ihre Hand wieder los und nickte zu den Fragen, als hätte er sie lang vorausgeahnt.
    »Und wenn es so wäre – dann wäre es mir gleich!«, gab er entschlossen zurück. »Ja, es kommt mir sogar eben recht! Ich will mir nicht länger einreden lassen, dass der Verstand und die Gelehrsamkeit das seien, was hier auf Erden zählt. Selbst Ihr seid doch bereit, diesen Grundsatz dann und wann aufzugeben.«
    Seine Augen glänzten fiebrig. Seine Worte und Bewegungen fielen hastig aus, da die Melancholie fehlte, die ansonsten all seine Regungen zügelte.
    Die neu erworbene Beweglichkeit sprang nicht auf Sophia über. Ihr ging nichts anderes in den Sinn, als dass er irr geworden sein müsste.
    »Wovon redest du?«, fragte sie entgeistert.
    »Von etwas, das Ihr gern verschleiert«, rief er beseelt, »– und das dennoch offensichtlich ist: Ein hartes Weib seid Ihr, so dachte ich stets – doch in Wahrheit könnt auch Ihr Euch mitfühlend, ja liebend gebärden. Oh, wie mich das tröstet! Wie es mir Halt gibt! Verzweifelt wäre ich an dieser Welt, wenn’s anders wäre. So aber denke ich mir, wie stark Gott doch ist, wenn Er es schafft, in Euch ein Fünkchen Wärme zu erzeugen, und dass es noch größeren Sinn macht, sich seinem gnädigen Wirken vollends hinzugeben, als nur mit den gedrechselten Worten der Gelehrten sein unergründliches Wesen zu erfassen.«
    »Théodore! Wovon redest du?«, verlangte sie ein zweites Mal zu wissen, und diesmal stimmte das eigene Unverständnis sie ärgerlich.
    Er aber mochte gar nicht aufhören zu strahlen.
    »Von Königin Isambour, von wem sonst? Von dem schwachsinnigen Weib, das nicht fähig ist, einen

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