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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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vernünftigen Satz zu sprechen, und das doch unter Eurem Schutz steht, seitdem der König es wieder aufgenommen hat. Ich dachte nicht, dass Ihr zum Dienen geeignet seid – jener Irren aber schenkt Ihr mehr Zeit als jemals Cathérine, mehr Zeit, als Ihr brauchtet, mich zu knechten und mir Gelehrsamkeit einzuprügeln. Es mag nicht nutzlos und vergebens sein, auf dieser Welt zu leben, wenn sie denn solche Wunder hervorbringt: Die gelehrte Sophia dient Königin Isambour.«
    »Du hast das falsch verstanden, ich...«
    »Oh, leugnet es nicht! Alle haben mir berichtet, dass sie allein es ist, die Euch an des Königs Hof lockt. In den letzten Wochen konnte ich es auch selbst bezeugen. Und dies hat mich denn auch zu dem Urteil gebracht, dass das Leben eine Waage ist, deren beide Schalen mit Gewicht zu beschweren sind. Vielleicht ist dies das Gesetz: Der Ergebenheit an den Verstand folgt stets mit gleicher Heftigkeit Ergebenheit an ein Gefühl, welches dem Rationalen widerspricht. Das Leben, das Ihr in den Büchern gesucht habt, hat Euch zuletzt Isambour geschickt...«
    »Du verstehst es nicht!«, warf sie über sein Unverständnis verärgert ein. »Es war doch nur, weil ich...«
    »So denke ich mir«, fiel er ihr da schon ins Wort, »so denke ich mir – vielleicht könnte ich glücklich werden, wenn ich von allem ließe, was mich jemals wertvoll deuchte, wenn ich ein Leben lebte, das dem meinigen unendlich fern und fremd ist, wenn ich meinen geschulten Geist und den einstmals verwöhnten Körper der Armut und dem Gehorsam unterwerfe – und dies nicht nur für eine begrenzte Zeitspanne, so wie es die letzten Jahre über geschah, sondern für immer.«
    »Théodore, du kannst doch nicht...«
    »Sie leben außerhalb der Stadt – die Bettelmönche, die nach Paris gekommen sind. Sie betreten die Plätze und Straßen von Paris nur, wenn sie predigen – und die Menschen auffordern, von ihren Reichtümern zu lassen. Ja, von allem Besitz solle man lassen, denn er hinge einem wie Ballast an der Seele und würde einen zuletzt ins Verderben ziehen. Und nicht nur Gold und Prunk und schöne Pferde und reiche Häuser sind damit gemeint. Auch zu viel an Wissen und Gelehrsamkeit kann manchmal zum Balken werden, der den Blick verstellt auf das, was wahrlich zählt. So dachte ich mir: Reicht es, wenn ich nur von meines Vaters Erbe lasse, oder werde ich nicht vielmehr erst dann arm, wenn ich die Doktorwürde, die ich stets erlangen wollte, aufgebe und die Bücher, die ich in Zukunft noch schreiben könnte? Wenn ich endgültig von den Plänen lasse, die ich in den letzten Jahren oft geschmiedet hatte und die mich zurück nach Paris an die Universität hätten führen sollen? Oh, gern werfe ich sie weg, um zu den Armen im Geiste zu zählen, die unser Christus ›selig‹ heißt!«
    »Aber...«, warf Sophia ein letztes Mal ein.
    »Und diese Brüder haben sich nicht nur der Armut geweiht«, fiel Théodore ihr ins Wort. »Sie gehen zu den Aussätzigen, um sie zu pflegen; sie verbinden ihre nässenden Wunden, ohne sich zu grausen. Franziskus selbst, so erzählt man sich, küsste einen von ihnen auf den Mund, und was ihm ekelhaft erschien, wandelte sich durch Gottes Zutun gar plötzlich in tiefe Süße für Leib und Seele. Wo könnte ich das Andenken an meine arme Mutter Mélisande besser ehren als dort? Wo ließe sich für mich tieferer Sinne finden als im Pflegen und Lindern, was ich in Wahrheit immer schon wollte – wenn Ihr mich nicht abgehalten hättet? Oh, Sophia, ich weiß es genau: Es ist Gottes Ruf, dem ich folge.«
    Er heischte um ihr Verständnis, ihre Zustimmung. Doch sein Entschluss reizte nun nicht mehr zum Widerwort, sondern hatte Sophia schlichtweg die Sprache verschlagen. Fassungslos starrte sie ihn an. Es fiel ihr nichts mehr zu sagen ein.
    »Zum Abschied bleibt mir nichts, als in Frieden von Euch zu gehen«, murmelte Théodore. »Werdet Ihr ihn mir schenken?«
    Sophia betrachtete die siebzehnjährige Tochter, die da neben ihr stand, zum ersten Mal nicht als Übel.
    Cathérine hatte aufgehört zu heulen, aber ihre Augen waren rot gerändert, und das blonde, weiche Haar fiel ihr struppig ins Gesicht.
    »Hör zu«, sprach Sophia, verzichtete auf den üblichen rüden Ton und klang merkwürdig gezähmt und weich. »Hör zu, du musst Théodore von seinem Entschluss abbringen!«
    Verschwörerisch neigte sie sich vor und hob die Hand unter Cathérines Kinn, um sie solcherart zum Aufblicken zu bewegen. Fremd fühlte sich die weiche Haut

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