Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
einem anderen Mann gelegen, und von diesem, nicht von Bertrand, habe ich dich empfangen. Théodore und du – Ihr seid nicht Halbbruder und Halbschwester.«
    Sie fühlte, wie sich Cathérine unter ihren Händen versteifte. Für einen Augenblick zollte sie der Tochter Respekt, dass sie ihre Worte so schweigend und beherrscht aufnahm und nicht etwa mit ihrem überspannten Geheule losbrach, dass sie sich so erwachsen gab und in Ruhe zu überlegen schien, was dieses Geständnis verhieß.
    Ehebruch war eine Todsünde, so schlimm wie Mord und Glaubensabfall. Dass sie aus einer solchen hervorging, würde sie niemals mit einer frommen Seele bereden können, vielmehr in Angst vergehen, dass jene das Geheimnis ausplappern und die ganze Welt sich von ihr abwenden würde. Aber Théodore konnte sie es sagen, bei ihm über die zerbrochene Lebensordnung klagen und ebenso, dass sie bei diesem schrecklichen, gottverdammten Weib Sophia nicht länger bleiben wollte! Wie konnte er sich dann umdrehen und sie im Stich lassen?
    Sophia begann Cathérine sanft an den Schultern zu rütteln. So wohltuend das Schweigen war – nun endlich musste sie etwas sagen, die Mutter verdammen, die unehrenhafte Herkunft verfluchen!
    Als Cathérine jedoch endlich den Mund auftat, so sprach sie nicht nur verlöschend leise, sondern ganz andere Worte, als Sophia sich ausgemalt hatte.
    »Gott sei meiner armen Seele gnädig! Wenn es stimmt, was du sagst, gehört meine Seele dem Teufel!«
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
    Roesia tapste im Finsteren durch die Gänge. Mehrmals rammte sie sich den Kopf an einer der Mauern an.
    »Verflucht!«, rief sie dann.
    Unscharf erinnerte sie sich an die Öllampe, die sie bei sich getragen hatte, als sie im geheimen Raum hinter der Krypta nach Sophias Chronik gesucht hatte. Irgendwo dort unten musste sie liegen, längst verloschen, und neben ihr das Bündel Pergamentseiten.
    Roesia tastete sich weiter, dem Grauen entfliehend, das hinter ihr lag. Sie konnte nicht davon sprechen, sie konnte es nicht benennen – doch ihre Haare sträubten sich immer noch, Schauder liefen ihr über den Rücken, und kalter Schweiß gerann auf der Stirne.
    Sie war überrascht worden, als sie in Sophias Chronik gelesen hatte. Jemand war gekommen, um...
    Ihr Gedächtnis schien es ihr heimzuzahlen, dass sie so oft seine Gaben verleugnet hatte. Mit Absicht hatte sie sich dem Vergangenen gegenüber meist blind gestellt, sodass nun auch das gegenteilige Trachten – sich darauf zu besinnen, was eben geschehen und welchem schrecklichen Kampf sie entronnen war – nichts fruchtete.
    »Verflucht!«, murrte sie ein weiteres Mal – und meinte diesmal nicht die steinernen Wände, sondern die lahmen, schläfrigen Gedanken. Beinahe hatte sie auch vergessen, wen sie hier suchte, von wem sie Schutz erwartete.
    Erst als zähes Dämmerlicht durch die Ritzen floss, fiel es ihr wieder ein.
    Sœur Yolanthe.
    Sie musste mit Sœur Yolanthe reden – vielleicht vermochte sie mit deren Hilfe zu ergründen, was eben geschehen war.
    Sie traf die alternde Schwester zwar wach an, jedoch noch nicht für den Tag gerüstet. Anstatt unter dem dunklen Schleier verborgen zu sein, stand das farblose Haar struppig wie ein Igelfell von ihrem Kopf. Die Augenlider waren vom Schlaf geschwollen, und zwischen den Wimpern klebten helle Körnchen.
    Indessen Roesia das ungewohnte Erscheinungsbild nicht bekümmerte, schrie Yolanthe bei ihrem Anblick auf.
    »Mutter Äbtissin!«, entfuhr es ihr mit rauer Stimme. »Gütiger Gott! Was ist geschehen?«
    Roesia schämte sich zu antworten. Unmöglich konnte sie zugeben, dass sie sich an nichts erinnerte. Sie sagte kein Wort, fuhr sich jedoch prüfend mit der Hand über das Gesicht, um zu erkunden, was die andere so hatte erschrecken lassen.
    Sie selbst schrie nun auf, als sie nicht nur Reste der Spinnweben fühlte, sondern getrocknetes Blut, das seitwärts von der Schläfe herabgeflossen und dort zur schwarzen Kruste erstarrt war. Sie fühlte keinen Schmerz, jedoch, dass das rechte Auge geschwollen war. Ein Faustschlag musste sie getroffen haben.
    Jäh zitterten ihr die Knie, und ihre ganze Gestalt wankte.
    »Gütiger Gott!«, stieß Yolanthe ein zweites Mal aus. »Setzt Euch hier auf meine Liege! Ihr seid ja leichenblass!«
    Da Roesia zu keiner Regung fähig war, packte Yolanthe sie entschlossen an den Händen und drückte sie auf ihr Bett.
    »Ich... ich habe die Chronik gesucht«, hörte Roesia sich stammeln. »Mir ist eingefallen, wo sie

Weitere Kostenlose Bücher