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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich freudig für den Tag. Doch als sie nach unten stieg, so erwartete sie nicht der Stiefsohn, sondern Rudolphe, der großgewachsene Knappe, der ihr für gewöhnlich zum Geleit kam. Er hätte den Auftrag, verkündete er mit verschlafenem Blick, sie in den Palast zu holen.
    »Wer schickt dich?«, fragte Sophia und war sogleich hellwach. »Will Théodore mit mir sprechen?«
    »Nein«, begann er zögerlich und senkte den Blick, in dem sie erst jetzt Verstörung las. »Es ist die Dauphine Blanche. Ihr sollt Euch eilen.«
    Sie ahnte, dass etwas Schreckliches geschehen war, noch ehe jemand davon sprach.
    Der Morgen, der sonst langsam begann, war laut und geschäftig. Priester und Mönche huschten unausgeschlafen durch die Gänge, unter ihnen zwei schwarz gewandete Männer, von denen Sophia wusste, dass der eine der Hofastrologe war, der andere der Arzt des Königs. Letzterer hatte Blanche seinerzeit fast im Kindbett verrecken lassen.
    Die Gesichter der Männer waren aschfahl, jene der Hoffräulein jedoch vom Weinen gerötet.
    Sophia brachte eine von ihnen – jene Rosalinde, die kürzlich noch ein Mittel erfragt hatte, um das Verlangen des Gatten zu dämpfen – zum Reden.
    »Sagt, was ist geschehen?«, rief sie fordernd.
    »Oh... Ihr kommt zu spät, viel zu spät! Die Dauphine hätte früher nach Euch schicken müssen... freilich ging’s so schnell, und nun... nun ist Philippe tot.«
    Sophia zuckte zusammen und dachte kurz, Rosalinde spräche vom König. Erst nach den nächsten Worten gewahrte sie, dass sie dessen Enkel meinte, Blanches erstgeborenen Sohn, den Sophia damals selbst auf die Welt gebracht hatte. Nun, da sie wusste, dass es nur um ein Kind ging, blickte sie verächtlich auf die rotgeränderten Augen.
    Unnützer Aufruhr! Kinder starben oft und schnell – so war das eben. Außerdem hatte Philippe bereits zwei jüngere Brüder, den vierjährigen Louis und den zweijährigen Robert; und Blanche ging obendrein wieder schwanger.
    Nur mehr mit halbem Ohr hörte sie zu, wie Rosalinde klagend den Verlauf der Krankheit schilderte. Seit einigen Tagen hätte der Knabe an Leibschmerzen gelitten – am gestrigen wäre schlimmes Erbrechen hinzugekommen. Keinen Tropfen Wasser konnte er bei sich behalten, geschweige denn feste Speise. Der Hofarzt meinte, auch ein geschwächter Körper könne solches eine gewisse Zeit lang überdauern – man solle es nur einfach immer wieder aufs Neue versuchen, ihm Bier oder Wein einzuflößen. Kurz nach Mitternacht aber kam zu Leibschmerz und Erbrechen das Fieber, und wenige Stunden später hatte es ihn hinweggerafft.
    »Die Dauphine ist außer sich!«, rief die Hofdame. »Sie hielt ihn in den Armen, als er starb – und will ihn seitdem nicht mehr loslassen, auch wenn solch Gebaren gewiss der neuen Leibesfrucht schaden wird. Und obendrein ist der Dauphin nicht zugegen, sondern kämpft im Süden gegen die grässlichen Ketzer. Der König aber...«
    »Haltet ein!«, unterbrach Sophia sie rüde. Sie hatte genug von dem ausführlichen Geschwätz – und wenig Mitleid mit Blanche.
    Die Genugtuung, dass jene sich auf ewig nicht verzeihen würde, zu spät um ihre Hilfe ersucht zu haben, war vom unliebsamen Gedanken gemäßigt, ihr womöglich wie alle Damen des Hofs das Beileid aussprechen zu müssen. Weder wollte sie mit ihrem Gram zu tun haben noch mit ihrem stillen Trotz.
    Indessen sie jedoch überlegte, wie sie dieser Pflicht entgehen konnte, ertönte ein lautes, verzweifeltes Heulen, das Rosalindes aufgeregte Stimme mühelos übertraf.
    Sophia vermeinte kurz, dass nur die schmerzgebeugte Mutter des toten Kindes dazu fähig sein konnte – wenngleich Blanches Weinen sich stets als leise erwiesen hatte – da sah sie Cathérine, die eigene Tochter, schluchzend auf sie zugelaufen kommen.
    Bei jedem Schritt schlug sie obendrein die Hände vors Gesicht und zeugte damit ein lautes Klatschen.
    »Herrgott!«, zischte Sophia. »Hat dich die Dauphine nicht rechtes Verhalten bei Hofe gelehrt? Und obendrein ist kein Kind auf Erden solche Trauer wert!«
    Ein einziges Mal blickte Cathérine die Mutter nicht verächtlich oder vorwurfsvoll an, sondern ehrlich verzweifelt.
    »Er will fort!«, schluchzte sie, und die Aufregung ließ blaue Adern in dem sonst marmorglatten Gesicht hervortreten.
    »Wovon redest du?«
    Sophia merkte, dass sie nicht unbeobachtet waren. Augenpaare begafften sie, man schüttelte mahnend das Haupt. Selbst die geschwätzige Rosalinde machte ein Zeichen zur Mäßigung. Cathérine

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