Die Chronistin
er mit seinem letzten Atem, was er in der Hochzeitsnacht zu Amiens erlebt und was dreißig Jahre lang sein Leben vergällt hatte.
Lang war der Zug der Trauernden, die in der flirrenden Julihitze den toten König zu seiner letzten Ruhestätte geleiteten.
Philippes Leichnam war mit den Königsgewändern bekleidet, der Tunika und der Dalmatika. Auf dem Kopf trug er eine Krone, in der rechten Hand das Zepter. Durch das goldene Tuch, mit dem er bedeckt war, schimmerte sein wächsernes Antlitz, wiewohl seit seinem Hinscheiden mehrere Tage vergangen waren.
In der Abtei von Saint-Denis, der er seine privaten Güter vererbt hatte, sollte er zwischen den Gräbern seiner Vorfahren Dagobert und Karl dem Kahlen seine letzte Ruhestätte finden, und hierhin begleiteten ihn nun die Großen des Reiches, die Barone und Grafen und Bischöfe.
Indessen unter der beißenden Sonne manch einem der Schweiß ausbrach, erwartete den Trauerzug im Inneren von Saint-Denis eine eisige Kälte und mattes Licht, das von den farbigen Fenstern gesprenkelt fiel.
Sophia hatte mit den anderen Platz genommen und fand Zeit, die Versammelten zu mustern.
Isambours faltige Haut war ob all der Anstrengung der letzten Tage nicht länger matt, sondern rot gefärbt, und wiewohl sie es gewiss nicht bezweckte, gereichte jenes ungewohnte Zeichen an Gesundheit dem nunmehr toten Widersacher, der in seiner kalten Gruft zu liegen hatte, zum Hohn. Ob sich jemand bei ihrem Anblick darauf besann, was jener ihr angetan hatte?, überlegte Sophia. Ob man in Isambour sein Opfer, nicht seine Witwe sah?
Schwer war das zu erahnen. Seit Philippes Tod wurde kein schlechtes Wort mehr über ihn gesprochen, er vielmehr als einer der größten Könige Frankreichs gerühmt. Schon waren erste Legenden im Umlauf, die davon kündeten, dass er unter Gottes Gnade und Schutz gestanden habe. Noch als Sterbender hätte er mehrere Wunder bewirkt: Ein Komet war vom Himmel gekommen, um die Erschütterung der Engelscharen zu verkünden. Im fernen Italien hatte ein schwer kranker Ritter eine Vision von Philippe gehabt und war genesen. Und als man den Leichnam von Mantes nach Saint-Denis überführte, so waren mehrere Skrofulöse alsbald von ihren grässlichen Verknotungen im Gesicht geheilt. Schon warteten draußen vor der Abteikirche weitere – als Beginn eines endlosen Stroms, der über Monate all die Mühseligen und Beladenen zur letzten Ruhestätte des Königs führen würde.
Sophias Blick löste sich von Isambour und glitt auf jene, die ihr als Königin von Frankreich nachgefolgt war. Auch Blanches Augen schienen fiebrig zu glänzen. Ob es sie immer noch nach Ziegenkäse und schwarzen Oliven gelüstete oder ob sie die Erinnerung an die Heimat verleugnete so wie den Widerwillen, der dem grauen Herbst- und Winterhimmel galt? Ob sie sich tatsächlich mit der bescheidenen, stillen Lebensweise zufrieden gab, die sie seit dem Skandal an den Tag legte, oder nur darauf wartete, wieder die mächtigste und einflussreichste Frau bei Hofe zu werden?
Anstatt der üblichen Verachtung erwiderte sie Sophias Blick mit kindlichem Trotz, als wäre es deren Bestrafung, nicht aber die des Königs, dass ihre Stunde nun gekommen war und keiner mehr die Macht hatte, sie und den königlichen Gatten als Häretiker zu beschimpfen. Fest hielt sie die Hand ihres Ältesten – nach dem Tod des kleinen Philippe war es Louis – gepackt. Jener war zu klein, um zu begreifen, dass er nun Frankreichs Thronfolger war, sondern war eifrig damit beschäftigt, jede Geste der Bischöfe zu bestaunen und jedes Gebet mit Inbrunst zu murmeln.
So wenig wie Blanche bemerkte er, dass nicht alle Blicke wohlwollend auf dem frommen Knaben ruhten, sondern es mehrere Augenpaare gab, die sich voll Widerwillen zusammenzwängten. Sie gehörten Philippe-Huperel von Boulogne, des verstorbenen Königs zweitem Sohn, den ihm die arme Agnèse geboren hatte und der – wiewohl vom Papst legitimiert – niemals den Ruf losgeworden war, ein Bastard zu sein. An seiner Seite saß die nicht minder verbitterte Mahaut, die seit ihrer Eheschließung nichts anderes hoffte, als dass Blanche und Louis – nunmehr der VIII. seines Namens, kinderlos bleiben mögen. Doch Blanche, die in den ersten Jahren ihrer Ehe gar nicht und später so schwer geboren hatte, brachte nun fast jährlich ein neues Kind zur Welt – und fast alle von ihnen waren gesunde Söhne.
Sophias Blick glitt weiter – auf Gauthier Cornut, Erzbischof von Sens, Conrad, Bischof von Poitou,
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