Die Chronistin
wirst du wohl zu Staub zerfallen, dachte Sophia halb grimmig, halb mitleidig, während sie Isambour mit gewohnt festem Griffe den Gang entlangschob, ja, zu Staub, ganz gleich, um wie viele Jahre du ihn überlebst.
Philippes Sterbezimmer war düster wie die restliche Burg. Die Fensterluke war zwar geöffnet, aber im Licht, das hineinfiel, tanzten viele kleine Staubkörnchen und ließen es schmutzig erscheinen.
Der König suchte den wenigen Sonnenstrahlen zu entkommen, indem er den Kopf zur Seite drehte, als wollte er von der Welt nichts mehr wissen, wo er doch nicht mehr auf ihr wandeln durfte.
Nur wenige Male hatte Sophia ihn in den letzten Jahren gesehen. Das ungesunde Grau auf seinen Wangen war ihr vertraut. Mehr als dieses erschreckten die vielen Falten, die nicht den Spuren glichen, die das Alter in das Gesicht eines lebenssatten Menschen gegerbt hatte, sondern die wie Vorboten des Todes schienen. Der Leib des Königs schien von innen her zu schwinden, noch nicht von Fäulnis aufgefressen, aber von Fieberglut. Die Augen glänzten, ohne zu strahlen, und als sie auf Sophias Gesicht fielen, erkannten sie es nicht.
»Ihr seid gekommen, ma Reine«, murmelte er zur Falschen, während Isambour nutzlos und steif wie stets am Eingang des Zimmers verharrte.
Wimpernlos zitterten seine Lider, als er ächzend den hinfälligen Körper aufrichtete und mit verbleibender Kraft Sophias Arm packte.
»Isambour«, murmelte er, »Isambour... jetzt scheint es doch so zu kommen, dass ich dich noch einmal berühre... noch einmal nach der unseligen Nacht.«
Seine gehetzten Züge lagen nackt. Sie verbargen das langjährige, gut gehütete Geheimnis um die Hochzeitsnacht nicht mehr. Bis jetzt hatte er nur seinem dritten Weibe Agnèse davon erzählt, aber Sophia ahnte, dass wenige Worte genügen würden, um es ihm in dieser Stunde zu entlocken. Vorsichtig drehte sie sich um, zu erschauen, ob Frère Guérin oder der Dauphin Louis ihnen gefolgt waren, doch entweder aus Respekt oder Überdruss vor den Frauen war keiner im Sterbezimmer verblieben.
Ohne ihr Vorgehen im Genauen zu planen, neigte Sophia ihren Kopf über den Sterbenden.
»Ich bitte um Vergebung für das, was ich Euch damals antat«, murmelte sie unwillkürlich.
Sie hoffte, dass der König vom Fieber zu verwirrt wäre, um es absonderlich zu finden, dass Isambour plötzlich sprach. Tatsächlich nickte er verständnisvoll.
»Ich dachte, Ihr seid vom Teufel besessen«, murmelte er, und auf die schweißgebadeten Züge drängte sich Entsetzen. »Ei freilich frage ich mich zu dieser Stunde, ob nicht der Bösewicht nun meine Seele umlauert und darauf wartet, sie den guten Engeln zu entreißen. Gar ungeschützt ist sie in dem kurzen Augenblick, da sie den Körper verlässt und den gefahrvollen Weg in die jenseitige Welt beschreitet...«
Von Isambour war nichts zu hören. Selbst ihr Atmen schien stumm.
»Sire«, flüsterte Sophia, »Sire... es ist dies das letzte Mal, dass wir uns hier auf Erden gegenüberstehen. Wenn Ihr mir, Eurem Weib Isambour, vergebt – dann sollt auch Ihr im Gegenzug den Nachlass Eurer Sünden erhalten. Nur sagt mir einmal noch, was Euch am meisten quälte, was Euch am meisten erzürnte in jener lang vergangenen Nacht...«
Sie schämte sich nicht, sich für die andere auszugeben. Nicht nur die Neugierde trieb sie an, sondern auch das Gefühl, ein Recht zu haben, dieses Geheimnis zu kennen.
Stand es nicht zu Beginn all jener unheilvollen Verkettungen? Wäre ihr Leben nicht anders verlaufen, hätte der König Isambour nicht verstoßen?
Niemals hätte sie sie verraten müssen, wäre von Gret nicht verflucht worden und ebenso wenig Bertrands Weib geworden. Sie hätte Théodore nicht zur Gelehrsamkeit angetrieben und Mélisande nicht in den Tod. Vielleicht... vielleicht hätte sie Frère Guérin besser kennen gelernt – aber nie wäre es zu dieser Nacht in Soissons gekommen, da der Grimm ob Philippes Verhalten gegen Isambour ihn in ihre Arme trieb. Cathérine wäre nicht geboren worden – und hätte nicht versucht, andere Weiber anzustiften, sie als Zauberin zu morden.
»Was...«, drängte Sophia. »Was ist damals geschehen?«
Der Griff seiner Hand lockerte sich; sein haarloser Kopf kippte auf das Kissen. Ein leiser Luftzug vom Fenster her wirbelte noch mehr trockenen Staub auf.
»Isambour...«, ächzte der sterbende König. »Isambour...«
Schon dachte Sophia, es wäre dies sein letztes Wort, und ihre Bitte würde nichts fruchten. Dann jedoch erzählte
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