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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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bekämpfte sein Sohn Louis, und in Paris oder Fontainebleau weilend beschäftigte er sich zumeist mit der Verwaltung seines Reiches, mit der Vergabe von Ämtern, die er aus den Händen manch aufstrebender, machthungriger Grafen und Barone nahm, um sie nüchternen, königstreuen Beamten zu übergeben.
    Ein letztes Mal, es war dies im Juli 1223, bedurfte man seiner, auf dass er im Languedoc ein Machtwort spräche – zu viele derer, die dort einst die Katharer ausgerottet hatten, erhofften sich dafür mehr als des Himmels Lohn und machten Philippe die Region streitig.
    Auf seinem Rückweg erkrankte er. Bereits in Pacy-sur-Eure vom Fieber gepackt, schaffte er es bis nach Mantes. Dort aber musste er verbleiben, das Urteil der Ärzte entgegennehmend, dass dies seine letzte irdische Reise gewesen sei – er demnächst aber die eine große anzutreten habe, die vor das Antlitz des barmherzigen Vaters.
    An seinem Sterbebett hatten sich die Getreuen versammelt – darunter auch der Dauphin Louis, der in den letzten Jahren zu einem schwachen, willfährigen Handlanger seines Vaters geworden war.
    Anstatt sich von jenem Stolz leiten zu lassen, der seiner Gattin Blanche die harte, unbewegliche und strenge Haltung verliehen hatte, wachte er stundenlang bei seinem Vater und sah ängstlich zu, wie jener schwächer und schwächer wurde.
    Ein einziges Mal nur ließ er den Sterbenden allein – als Königin Isambour ihm einen letzten Besuch abstattete...
    Die Burg zu Mantes war finster und feucht.
    Sophia war verwundert, dass sich in den dunklen Ecken überhaupt Spinnweben hatten fangen können – freilich deuchten sie sie aus der Nähe betrachtet nicht aus grauen Fäden gewebt, sondern aus schlammigem Tang.
    Schwarze Mönche schienen sich an allen Ecken zu versammeln, um des Königs bevorstehendes Ableben mit ausreichend Gebet zu flankieren.
    Ein geschwätziger Page, der Sophia und Isambour Geleit gab und dessen jugendlicher Fröhlichkeit der Duft des Todes nichts anzuhaben schien, erzählte von dem schauerlichen Kloster in der Nähe von Mantes, von dem diese Mönche stammten.
    Ein Ritter mit dem Namen Dagobert hätte jenes von seinem Totenbett aus gestiftet, um solcherart seine Sünden abzubüßen. Sein ganzes Leben hätte er damit zugebracht, zu plündern, Kirchen zu zerstören und Pilger zu überfallen. Besonderen Gefallen fand er daran, Unschuldige zu verstümmeln. Hundertfünfzig solcher armer Menschen, denen entweder die Hände abgeschlagen oder die Augen ausgedrückt waren, lebten in dieser Hinterlassenschaft – von eben jenen Mönchen betreut, die am heutigen Tage von üblicher Obsorge befreit waren und nicht für das Seelenheil des grausamen Dagobert beteten, sondern für das des Königs.
    Sophia war erleichtert, als der Page endlich verstummte und ihnen der Dauphin entgegentrat.
    Rotumrändert waren seine Augen, unausgeschlafen und aufgedunsen sein Gesicht, das trotz der vielen Schlachten, die er geschlagen, weibisch anmutete.
    »Gut, dass Ihr rechtzeitig eintrefft«, sprach er – mehr zu Sophia als zur schweigsamen Isambour hin. »Der König will von dieser Welt nicht lassen, ohne sich zuvor mit seinem Weibe ausgesprochen zu haben.«
    Eine höhnische Bemerkung lag Sophia auf den Lippen. Schon wollte sie fragen, warum ihn erst nun – da keine Tat mehr gutzumachen war – Seelenangst peinigte wie einst den grausamen Dagobert, warum ihn der Gedanke an die Gattin nicht schon früher zu Reue veranlasst hatte.
    Freilich war es nicht ihre Sache, darüber zu richten – desgleichen, wie sie keine Wahl gehabt hatte, die beschwerliche Reise zum Sterbebett anzutreten. Kaum dass die Bitte – oder mehr noch: der Befehl – in Paris eingetroffen war, hatte sie Isambour für die Fahrt rüsten lassen.
    So wie Sophia selbst war jene noch staubig und verschwitzt, doch es war keine Zeit, sich zu waschen.
    Hinter dem Dauphin erschien eine vertraute, dunkle Gestalt. Frère Guérin nickte höflich zum Gruße, aber wendete seinen Blick verlegen wie stets von Sophia.
    »Geht nur rasch zu ihm!«, pflichtete er dem Dauphin bei. »Der König hat schon seine letzte Beichte abgelegt. Jetzt will er Isambour sehen.«
    Bis jetzt war Sophia der Tod Philippes gleichgültig gewesen. Nun erst erkannte sie, dass Guérins Macht wohl schrumpfen, ihm sein Lebensinhalt schwinden, ihm das sture Ringen um Einfluss und Macht nutzlos werden würde, gäbe es erst keinen König mehr, dessen Handeln von feinen Fäden im Hintergrund gelenkt werden musste.
    Wie er

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