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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Lippen aufeinander. Oft hatte sie sich ausgemalt, wie sie über die Frucht ihrer gemeinsamen Sünde reden würden und wie sie ihm stolz und zugleich verächtlich das Eingeständnis abringen konnte, sich ihr gegenüber schändlich verhalten zu haben. Wiewohl es ausblieb und seine Reue Philippe galt, fiel ihr nichts anderes ein, als dass seine Gestalt – so groß gewachsen und vom Alter kaum gebeugt – sie so klein und schmal deuchte, als wäre sie selbst gewachsen, er aber geschrumpft.
    Er duckte sich vor ihr, er wand sich. Vorhin hatte er es nicht einmal vermocht, der Dauphine zu antworten. Mit magerer Stimme hatte er lediglich Sophia gebeten, mit ihm zu kommen.
    »Ich hätte Euch nicht helfen können«, setzte er eben hinzu. »Ich bin ein Diener Frankreichs, nichts sonst. Ach, warum habt Ihr mich nicht weggestoßen? Warum habt Ihr mich verführt?«
    Sie schwieg, vielleicht, weil sie ihm damit mehr zusetzen konnte als mit sämtlichem wütenden Geschrei. War er in dieser Stille nicht gezwungen, sich selbst die Antwort zu geben? Und lautete jene nicht, dass sie sich ihm nicht aufgedrängt, sondern ihm lediglich vertraut hatte?
    Die Ereignisse des Morgens hatten sie so leer gepumpt, dass sie nicht unversöhnlich und verbittert war wie einst. Und doch fühlte sie Behagen, dass er – weil sie’s nicht tat – nun selbst über sich zu Gericht sitzen musste.
    Sie senkte den Kopf, drehte sich um – und wollte wortlos gehen.
    »Ihr bleibt!«, rief er ihr nach.
    So hatte er auch einst gerufen, in jener Nacht zu Soissons, als der König Isambour ein zweites Mal verstoßen hatte und Guérin nicht hatte allein bleiben wollen.
    Nur hatte er damals raunend geklungen, verlangend, nicht nur weil sie ein Weib war – vielleicht auch, weil ihm durch die von Lust träge gestimmten Gedanken gegangen war: Sie ist mir ähnlich. Sie ist meiner würdig.
    Nun wusste sie, dass sie nicht gehen konnte, ohne zu antworten, und sei es nur, um sich der Vergangenheit ein für alle Mal zu entledigen: in lauter, lebendiger Weise, nicht mithilfe von Winkelzügen, die doch nur sie selbst zu Fall bringen würden.
    Sie drehte sich um, hob die Hand und schlug ihm in sein faltiges, alterndes Gesicht. Wiewohl nicht kräftig wie in der Jugend, brachte sie ihn zum Wanken. Sein Kopf kippte zurück, und das Genick knackte schmerzlich.
    Als er wieder hochblickte und sich die schmerzende Wange rieb, war jegliche Verlegenheit, jegliches Hadern und auch jeglicher Überdruss, der stets an ihm klebte, aus den Zügen geschwunden. Er blickte mit den überraschten Augen eines Kindes, dem Unerhörtes widerfahren war. Jetzt war er es, der keinen Ton hervorbrachte.
    Sophia aber lachte auf – spöttisch, weil er so verblüfft blickte, und befreit, weil es ihr endlich gelungen war, ihn zu schlagen. Zwei Mal hatte sie es versucht – an jenem Tag, da sie schwanger zu ihm kam, und später, als sie für Théodore bat.
    Nun war Théodores Geschick besiegelt, und noch lachend befand sie es für zu mühsam, damit zu hadern, desgleichen wie mit seinem verlegenen Händeringen. Sie trat zurück, um ihm zu zeigen, dass er sie nicht gewaltsam würde verscheuchen müssen, doch als sie sich abwendete, vernahm sie ein Seufzen, das traurig klang.
    »Ich werde zusehen, dass Blanche keine bösen Gerüchte über Euch verbreitet«, murmelte er. »Ich kenne Eure Pläne nicht, doch es sei ihr nicht erlaubt, Euch vom Hof zu weisen.«
    Das Lachen schwand von ihrem Mund. Sie zögerte, sich ihm zu erklären – zu sagen, dass sie für dieses Zugeständnis dankbar war, dass nun in ihrem Leben keine andere Aufgabe geblieben war als jene, mit der seinerzeit die Reise nach Paris angetreten ward: Isambours Chronistin zu sein, ihr Leben zu begleiten.
    »Lasst es gut sein«, murmelte sie stattdessen kaum hörbar. »Lasst es gut sein... Es ist genug für heute.«
    Es sollten ihre einzigen Worte für lange Zeit sein. Mit dem Schlag in Frère Guérins Gesicht wähnte sie sich von alter Wut befreit, aber sie war nicht bereit, ihm endgültig das Verzeihen auszusprechen. In den Jahren, die folgten, hüllte sie sich ihm gegenüber in ausdrucksloses Schweigen – und redete erst wieder mit ihm, als König Philippe starb.
    Aus der Chronik
    Das Frankreich, das Philippe Auguste geschaffen hatte, umfasste nicht mehr nur die kleine Region um Paris, sondern zudem die Normandie, alles Land östlich der Loire, das Languedoc und das Vexin.
    Beinahe friedlich verliefen die letzten Jahre – die Ketzer im Süden

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