Die Chronistin
ihn mit einer Mixtur aus Wacholder, Schweineschmalz und Ei eingerieben hatte. Drei Tage konnte man hoffen, der Pater Immediatus hätte überlebt, nachdem man ihn rechtzeitig unter einem brennenden Balken hervorgezogen hatte. Doch eines Morgens fand man ihn blicklos vor, die gestrig noch fast heile Haut übersät von sich ausbreitenden Wundschwären.
An seinem Totenbett heulte Sophia, indessen ihr Griseldis’ Tod, das Hinscheiden der steifen Äbtissin und einer der Kopistinnen nichts hatte anhaben können.
»Ich bin schuld«, plärrte sie, »ich habe an seiner statt die Bücher retten wollen, doch er befahl mir, in der sicheren Nische zu verbleiben und schritt selbst ins Verderben. Schwören habe ich ihm müssen, mich nicht vom Fleck zu rühren. Und ich habe ihm gehorcht, weil er mir eben noch erzählt hatte, mein Oheim zu sein.«
Schwester Cordelis starrte sie erstaunt an. Manche der Nonnen hatten sich in den letzten Tag als irr erwiesen, erschüttert ob des Schreckens, der über das Kloster gekommen war. Eine war so aufgebracht gewesen, dass sie die Bibliothek, wo manch ein heidnischer Gelehrter gelesen wurde, als Lasterhaus benannte und dass es hatte so kommen müssen, weil es an solcher Stätte an Gottesfurcht mangele.
Von Sophia jedoch war sie Beherrschung gewöhnt und mochte nicht verstehen, warum jene derart von Schluchzen gebeutelt ward.
»Der Fluch ist über uns gekommen«, heulte Sophia, »in den Annalen wird stehen, dass Schwester Griseldis aus Angst vor Dunkelheit in der Bibliothek eine Kerze aus Unschlitt entzündete und gar die Bücher entflammen ließ, auf dass es lichter sein möge. Verloren ist nun unser größter Schatz, auf ewig verloren...«
»Es macht mich wundern«, begann Schwester Cordelis nun zögernd zu sprechen, wiewohl sie nicht trachtete, die andere mit einer warmen Umarmung zu trösten, »wie Griseldis in die Bibliothek gesperrt wurde. Sie selbst trug doch das Schlüsselbund – wer hat es ihr entwendet, um das Tor von außen zuzumachen?«
Sophia stockte das Schluchzen. Erst jetzt, als der Schrecken ihre Kehle ausdörrte wie der lohende Qualm, gewahrte sie, dass zwar nicht die gleichmütige Cordelis die Antwort auf diese Frage ahnen mochte, aber eine andere.
»Du musst dir keine Sorgen um das Kloster machen«, sprach Cordelis indessen fort, zufrieden, dass die andere zu weinen aufgehört und offenbar die Ruhe wiedergefunden hatte. »Gewiss ist der Verlust der Bibliothek ein schwerer Schlag. Doch denk an die reichen Ländereien, die Schwester Mechthilds Vater der Abtei vermacht hat, als er kürzlich starb. Es geht das Gerücht, dass trotz ihrer Jugend keine andere als sie zur neuen Äbtissin gewählt wird.«
Sophia wartete auf ihr Urteil.
Mit gesenkten Augen saß sie vor der anderen, die Hände zitterten unruhig, der Atem schien nicht in die Brust vordringen zu können, sondern bei der zusammengeschnürten Kehle zu stocken.
Sie wird mich des Mordes anklagen?, dachte Sophia verzweifelt. Voll Freude, wird sie mir vorwerfen, dass ich Griseldis auf dem Gewissen habe und den Pater und die frühere Äbtissin und die Kopistin Roswitha...
Zu ihrer Überraschung sprach die Mutter Äbtissin, die vormals Schwester Mechthild hieß, jedoch nicht davon. Nun, da sie sich ihr Essen selbst zuteilen konnte, geriet die Stimme nicht hungrig und fordernd, sondern gleichmäßig.
»Ich war ein kleines Mädchen, als du ins Kloster kamst«, begann sie unwillkürlich zu berichten, ohne des Klosterbrandes mit einem Wort nur Erwähnung zu tun, »kaum älter als du. Und doch erinnere ich mich an deine Geschichte. Es gab lange Zeit Streit, ob man jemanden wie dich aufnehmen dürfte, wo doch dein Vater Bernhard von Eistersheim ein Ketzer wäre und ein Verräter des Papstes.«
Sie setzte eine Pause. Sophia hob erstmals den Blick, überrascht, dass die erwartete Anklage ausblieb und die andere sich in lang Vergangenem verlor.
»Was tut mein Vater denn zur Sache, wenn doch...«, setzte sie an.
»In Rom war er ein ergebener Jünger des Kardinals Oktavian von Monticelli«, unterbrach Mechthild sie scharf. »Verheißungsvoll glänzte seine Zukunft, denn alles deutete darauf hin, dass jener Papst werden sollte. Doch am Tag der Wahl wurde an seiner statt Orlando Bandinelli gewählt, welcher sich Alexander III. nannte. Oktavian wollte die Niederlage nicht begreifen. Er schrie von Verrat, ließ von den Wachen die Tore versperren und warf sich selbst den Purpurmantel um, jedoch so hastig, dass dieser verkehrt
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