Die Chronistin
herum hing. Es war dies ein schlechtes Omen. Der König von Sizilien nämlich unterstützte Alexander und vertrieb Oktavian aus Rom. Nicht nur er selbst, sondern auch alle anderen wurden mit dem Kirchenfluch belegt, was gleichsam bedeutete, dass jener auch deinen Vater Bernhard traf.«
Sie keuchte zufrieden auf, als Sophia verstockt schwieg. Lange hatte jene auf diese Geschichte gewartet – doch aus Mechthilds bösartigem Maul hatte sie sie am allerwenigsten hören wollen.
»Dieses schmähliche Ende, diesen Verlust sämtlicher Würden hat Bernhard von Eistersheim nie verwunden«, fuhr die andere fort. »Anstatt sich zu ducken und anzubiedern, wie’s eitlen Gemütern wie dem seinen zu raten wäre, lebte er fortan in Feindschaft mit dem Papst und gab sein priesterliches Leben auf. Von Wut und Enttäuschung zerrieben, zog er mit dem deutschen Kaiser Friedrich in den Krieg, der seinerseits Papst Alexander stürzen wollte – zu gefährlich deuchte ihn dessen enges Bündnis mit Sizilien.«
Forschend starrte Mechthild in Sophias Gesicht. »Doch Bernhard war kein Krieger«, lachte sie spöttisch, »in einer großen Schlacht in der Höhe von Legnano verlor er ein Bein und einen Arm, und das schwarze Pech, das von der umlagerten Burg auf ihn geschüttet wurde, verbrannte ihm das ganze Gesicht und alle Haare, die jemals auf seinem Kopf gewachsen waren. Als Verkrüppelter kehrte er in die Heimat wieder, fortan auf einen Stab gestützt, der aussah wie ein Bischofsstab, denn solche Würde hatte er in Rom zu erlangen gehofft. Aber jener Stab war am oberen Ende nicht gebogen, sondern spitz und schwarz wie verbranntes Holz.«
Sophia begehrte auf. »Was willst du mit dieser Mär erreichen? Willst du mich kränken?«
»Ich dachte, du wolltest stets erfahren, wer dein Vater ist«, entgegnete Mechthild kühl. »Hör nur gut zu, wenn ich von seinem Scheitern spreche – so weit ist’s von dem deinen nicht entfernt... Der einstmals Auserwählte war fortan ein Verstoßener. Er kämpfte nicht um Aufhebung des Banns – beinahe schien es, er würde sich mit seinem Fluche schmücken. Er trotzte der Kirche, indem er deren Sakramente öffentlich schmähte, und zuletzt trotzte er auch den Sitten seines adeligen Standes. In Lübeck ließ er sich nieder, wo einstmals Vorfahren lebten, und heiratete ein einfaches Bürgermädchen. Sie konnte nicht lesen und nicht schreiben, war arm und hässlich, aber hatte das Geschick, duftende Seifen zuzubereiten. Ob sie damit seinen verkrüppelten Körper gewaschen hat? Ich weiß es nicht.«
Sophia starrte sie an. Sie konnte kaum begreifen, dass jene Geschichte, auf die sie ihr ganzes Leben lang gewartet hatte, sie plötzlich nichtig deuchte vor ihrer einen großen Angst. Sie entschied, der anderen den Vorteil zu nehmen, indem sie jene als erste benannte.
Ohne Bernhard von Eistersheim mit einem Wort nur zu bedenken, fragte sie: »Wirst du den anderen sagen, dass ich am Klosterbrand Schuld trage?«
Mechthild lächelte leer und satt. Nach dieser Stunde, da sie ihre Widersacherin bestraft hatte, würde ihr Leben einfach und sorglos verlaufen, einzig dem Ziel geweiht, fett zu werden.
»Nein«, erklärte sie. »Ich werde den anderen nicht sagen, dass du nach dem Lesen und Schreiben gierst, als hinge dein Odem daran, und dass ein Talent – bringt es denn unlautere Gier wie deine hervor – niemals vom Herrgott stammen kann. Ich werde nicht sagen, dass du – um dieser Teufelsgabe zu frönen – mit Griseldis Unzucht triebest und sie ins Dunkel sperrtest. Ich
werde über all das schweigen, auf dass dir dafür keine Strafe zugeteilt wird. Denn das Los, das ich für dich bestimmt habe, ist ein viel, viel Schlimmeres!«
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
Die Schwestern flatterten wie aufgeregte Spatzen. Sie wetteiferten um jeden Brosamen, der von der aufregenden Neuigkeit abfiel.
Als Äbtissin Roesia – einen Tag, nachdem man Sophia erdrosselt aufgefunden hatte – mit ihrem gemächlichen Schritt durch das Refektorium schritt, worin alle zum Mittagsmahl versammelt waren, konnte sie nicht verstehen, warum man sich freiwillig einer solchen Erregung hingab. Um vieles ratsamer war es doch, daran vorbeizulauschen und die Ruhe des Alltags zu suchen!
Freilich war es ein Fehler, vom eigenen Gemütszustand auf den der anderen zu schließen. Sie hätte mit der Aufgebrachtheit rechnen müssen, sich darauf einstimmen, dass die Schwestern sich nach dem Leben sehnten und selbst dessen schauerlichste Seite mit
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