Die Chronistin
Vergangenes zu erinnern.
»Gewiss«, wiederholte sie, »doch heute such ich Euch zu sprechen, weil...«
»Mit Freude erfuhr ich, dass du der armen Irmingard in ihren letzten Stunden vorbildlich beigestanden hast. Dereinst war mir nicht gänzlich wohl dabei, dass sie dich für die Krankenstube empfohlen hat, und doch erkenne ich jetzt, dass es recht war, ihrem Urteil zu vertrauen.«
Zweifelnd blickte sie ihn an und haderte mit seiner Redelaune.
»Ja doch, und trotzdem will ich...«
»Man hat dich zu deinem Besten hier erzogen, kleine Sophia... Ragnhild. Ein weiser Entschluss war es, dich diesem Kloster anzuvertrauen. Und heute will ich dir sagen: Jener stammt von mir!«
Verwundert blickte sie ihn an, erstmals empfänglich für das, was er zu sagen hatte.
»Es ist die Zeit gekommen, dir die Wahrheit zu benennen«, fügte er hinzu, »wisse: Ich bin der Bruder deines Vaters, dein Oheim, und nach seinem Tod war ich es, der über dein Geschick verfügte und Mittel und Wege suchen musste, um seinen schmählichen Ruf von dir zu wenden. Heute kann ich erkennen, dass es mir gelungen ist.«
Sachte Röte überzog ihre Wangen ob des unverdienten Lobs. Sie dachte an Irmingard, ihren letzten Streit und dass sie an deren vorzeitigem Tod nicht unschuldig war. Sie dachte an Griseldis, deren hitzige Berührungen und ebenso, dass jene in der Bibliothek eingesperrt war und sich sicherlich in deren stickigem Dunkel zu Tode fürchtete. Wohlwollende Worte gebührten ihr nicht.
»Aber...«, stotterte sie verlegen.
»Ja, wir waren Brüder, dem Herrn geweiht, einer wie der andere. Nur ich, ich war der bescheidenere; ich begnügte mich mit stillem Klosterleben, wohingegen dein Vater, Bernhard von Eistersheim mit Namen...«
Sie schwankte in der Entscheidung, ihr Interesse ganz auf sein Erzählen auszurichten oder dem eigentlichen Trachten zu folgen.
»Pater...«
»So klug und belesen war er, dass ein Bischof ihn nach Rom entsandte, wo er sich bilden und den Größten der Kirche nah sein sollte. Zu diesem Zwecke nahm er die gefährliche und mühselige Reise über die Alpen in Kauf, und als er endlich die Ewige Stadt erreichte, machte er eine Bekanntschaft, die anfangs so ruhmreich war und später so verhängnisvoll – die des Kardinals Oktavian von Monticelli, welcher in die Geschichte als einer einging, der sich gegen jegliches Gebot die Papstwürde rauben wollte...«
Ein kurzes Zögern schlich sich in seine Rede. Zunächst dachte Sophia, dass es der Inhalt seiner Worte wäre, der ihn zaudern stimmte, oder aber ihre fortwährenden Unterbrechungen.
Erst in der Stille seines Schweigens erkannte sie dessen wahre Ursache: Vom Hof her wurden Stimmen laut, nicht ruhige und gemächliche, sondern aufgeregte und kreischende. Hinzu kamen ein merkwürdiges Prasseln und schwere Dämpfe, die den Gang entlang bis zu ihrer Nische zogen.
Der Pater Immediatus löste den Blick von ihr, hob witternd den Kopf und trat prüfend in den Gang. »Was geht hier vor?«, fragte er verwirrt.
Sie folgte ihm, mit Bedauern darüber, dass er seine Rede nicht fortgesetzt hatte.
Dann erkannte sie – und es war dies der größte Schrecken, der je ihr Gemüt durchstochen hatte –, was sich da draußen ereignete: Das Knistern und Surren und Prasseln und Krachen kam von der Bibliothek, und jene brannte lichterloh.
Vier Tage währte der Klosterbrand. Hernach gab es viele Tote zu betrauern, die das Feuer noch zu löschen versucht hatten, aber von herabfallenden Balken erschlagen worden waren, und die Bibliothek war für alle Zeiten vernichtet. Verkohlt und spitz stachen die verbliebenen Grundmauern in den Himmel – im Morgengrauen einer klagend erhobenen Hand gleichend und im abendlichen Dämmerlicht einem steinernen Wald, dessen schwarze, abgestorbene Bäume niemals wieder Frucht erbringen würden.
Sophia hatte wenig Zeit, wehmütig herumzuschleichen. In der Krankenstube wölbten sich ihr gepeinigte Leiber entgegen, deren Augen zu Brei verglüht waren und deren Haut sich in Fetzen löste. Sie strömten einen ranzigen Geruch aus, der über lange Wochen so hartnäckig über dem Kloster hing wie der dösende Qualm.
Schwester Cordelis erklärte das Feuer zu einem der schlimmsten Feinde des menschlichen Leibs und dass es kein Wunder sei, wenn man es als Element dem Teufel zuschriebe: nicht nur, dass es Wunden schlug. Obendrein trieb es durch jene mit heißem Atem eine unsichtbare Macht, die oft erst viele Zeit später den Leib zum Ersticken brachte, gleichwohl man
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