Die Chronistin
sondern vom Wissen, dass der Pater Immediatus nahte. Sie musste mit ihm sprechen, noch ehe Mechthild sie verleumden konnte!
Griseldis erkannte die Hast nicht.
»Sei freundlich zu mir«, raunte sie begierig, »ich bin doch die Einzige, die dir hilft...«
Statt erklärender Worte fügte sie Gesten hintendran. Sie grapschte nach Sophias Hand, zog sie daran in die dunklen und staubigen Winkel der Bibliothek.
Sophia biss die Zähne zusammen.
»Jetzt nicht«, versuchte sie sich zu entwinden. Der Leib der anderen war so weich wie gewichtig. Sie versperrte ihr die Flucht – und nährte nicht nur üblichen Ekel, sondern heißen, glühenden Zorn.
Ungerecht war’s, die Fettleibige bestechen zu müssen! Ungerecht war’s, gezwungen zu sein, den Pater Immediatus abzupassen!
Der Plan, der in Sophias Kopf zu wuchern begann, war unausgereift, aber wurde zügig durchgeführt. Anstatt Griseldis zurückzudrängen, schien sie sich ihrem Trachten zu fügen, warf sie schließlich auf den Boden und verhielt sich, als wollte sie sich auf den Leib legen. Doch mit suchenden Händen trachtete sie nicht danach, der anderen Lust zu bereiten, sondern ihr lediglich den Schlüssel zu entziehen, den jene in den Falten ihrer Tracht verborgen hielt.
Mit einem triumphierenden Aufschrei löste sie das Bund, und ehe die Schwerfälligere den Raub gewahrte und sich wütend aufrichten konnte, war Sophia mit behänden Schritten von ihr geflohen, schlug ihr das schwere Tor der Bibliothek vor der Nase zu und sperrte von außen ab.
»Nicht!«, kreischte Griseldis, nicht länger lüstern, sondern panisch gestimmt. »Lass mich hier nicht allein. Bald ist es Abend, und hier gibt es kein Licht!«
»Verhalt dich still!«, gab Sophia hart zurück. »Dann werden dich die Dämonen vergessen! Denk nicht, dass ich mit dir Mitleid habe!«
Griseldis heulte auf. »Bitte, Ragnhild! Bitte, tu mir das nicht an!«
Schon war Sophia zum Gehen gewandt – das grässliche Klagen jedoch hielt sie auf.
»Wie?«, schrie sie, Rachsucht und Zorn waren stärker als nur der Wunsch, die Lästige loszuwerden: »Du willst um meine Rücksicht betteln? Hast du dich je gefragt, wie ich mich fühlte, musste ich deinen Leib berühren? Und ich sag’s dir, jener stinkt! Ein mickriges, widerwärtiges Frauenzimmer bist du, das sich zu Tode schämen sollt, dass es wagt, die Hände nach einer wie mir auszustrecken! Weißt du überhaupt, wer ich bin? Habe ich Not, mich einer schäbigen Kreatur wie dir auszuliefern?«
Schnaufend rannte sie nach unten, um dort die Spuren ihrer Hast zu verwischen. Mit dem rauen Ärmel fuhr sie sich über die Stirn, um die aufgeregten Schweißtropfen zu trocknen. Sie kam nicht zu spät, denn wiewohl der Pater und die Seinen eingetroffen waren, führte ihr erster Weg ins Gästehaus, um sich dort zu erfrischen.
Sophia wartete im Gang davor.
»Pater!«, zischte sie aus der steinernen Ecke. »Pater! Ich muss sogleich mit Euch reden.«
Erstaunlich willig folgte er ihr. Erst später erkannte sie, dass nicht ihre unruhige Stimme ihn dazu bewog, sondern sein längst geplantes Vorhaben, im Verlaufe des Besuches allein mit ihr zu reden. Kurz vor der Nonnenweihe, so deuchte ihn, habe sie das Recht, endlich von ihrer Herkunft zu erfahren. Er merkte nicht, dass ihr der Sinn nicht danach stand.
»Pater!«, sprach sie auf ihn ein. »Ich will Euch warnen, dass man Verleumdung gegen mich plant. Ihr wisst um den Neid, welcher eine Todsünde ist und welcher gar so oft das Zusammenleben der Schwestern verpestet. Und derer eine gibt es nun...«
Er musterte sie, wie sie in der engen Nische des Gangs stand, und ein wenig fühlte sie sich an die wohlwollenden, wachen Augen von früher erinnert – ehe der Streit mit Mechthild ihn zur Strenge verleitet hatte.
»Ragnhild«, murmelte er mit einem Anflug von Rührung, »oder kleine Sophia, wie dich hier manche nennen. Kaum könnt ich’s glauben, dass baldigst dein fünfzehntes Lebensjahr erreicht ist und somit die Zeit, endgültig dein künftiges Geschick zu bestimmen. Für mich gibt’s an dem Entschluss, dich als Braut Jesu zu den Ewigen Gelübden zuzulassen, freilich nichts zu rütteln.«
Sie nickte rasch.
»Gewiss und doch...«
»Man sagte mir, dass du in der Krankenstube wichtige Dienste verrichtest. Dem gebührt mein Lob. Und auch danke ich Gott, dass meine Hoffnung sich erfüllte, wonach dein Eigenwille nicht den verbotenen Wegen deines Vaters folgen möge...«
Sein Blick schien von ihr zu schweifen und sich an
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