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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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fordernd, aber jene rutschten ob des Schweißes, der sich an der Innenfläche gebildet hatte, stets aufs Neue an Sophia ab. Obendrein konnte die Dicke bald nicht mehr aufrecht gehen: Nicht nur die eigene Schwerfälligkeit bezwang sie, sondern die schmerzenden Beine, wo manches Mal die Adern wie dicke, blaue Würmer hervortraten und eine sämige gelbe Flüssigkeit ausspuckten, die aus der ledrigen Haut eine einzige rote Wunde machte.
    »Was ich für Mühen mit dir hab, Mädchen!«, stöhnte die Frau, lehnte sich kurz an eine Hauswand und humpelte dann doch hartnäckig dem Ziel entgegen.
    Sophia folgte unberührt und ohne jegliche Regung. Sie widersetzte sich nicht; sie tat, was man ihr sagte, aber nichts, was ihr vor Augen kam, konnte sie jemals zu einem Zeichen veranlassen, dass nach den schrecklichen Vorkommnissen im Kloster ihre Seele nicht gemordet wäre und sie ein Gemüt hätte. Die farbenfrohe, stolze Stadt, die Kaiser Friedrich erst vor einem Jahrzehnt dem aufrührerischen Heinrich dem Löwen abgetrotzt hatte und die seitdem zahlreiche Vorrechte besaß, ließ sie kalt.
    Selbst als die Tante ihr Ziel erreichte – eines der größten Häuser Lübecks –, am schweren Tor klopfte und von der Dienstbotin in einen Saal mit riesigem Kamin gewiesen wurde, wie ihn keine anderen Häuser hier besaßen, zeigte sie auch nicht die geringste Neugierde.
    »Herr Arnulf!«, rief Bertha erleichtert aus, als der Hausherr ihnen entgegentrat – ein groß gewachsener Mann mit spitzer Nase und flinken Augen und zugleich sehr vorsichtigen Schritten, als schmerzte der Rücken, den das Alter zu beugen begann. »Herr Arnulf! Ihr müsst mir mit dem Mädchen helfen. Niemals in meinem Leben ist mir solches geschehen. Ich weiß nicht, ob es Sturheit ist oder Bösartigkeit, die sie zu ihrem Gebaren bewegen. In jedem Fall komme ich ohne Eure Hilfe nicht weiter.«
    Sophia stand starr und bedachte den Eingetretenen mit keinem Blick.
    Jener hielt Abstand, vor allem von der schwitzenden Alten, streifte das Mädchen aber mit interessiertem Blick.
    »Ihr habt mir schon vor Wochen erzählt, dass sie in einem Kloster aufgewachsen ist, nicht wahr?«, fragte er.
    »Bis vor einem halben Jahr«, bestätigte die Tante. »Dann wurde sie von dort fortgeschickt und mir aufgelastet – ich frage Gott jeden Tag, warum! Anfangs dachte ich, sie könnte meinen Jüngsten heiraten – Ihr wisst, er hat den schiefen Blick und man bespöttelt ihn, und wer sonst könnte ihn nehmen, wenn nicht sie? Aber zugleich denke ich mir, was sollt mein guter Junge an ihr leiden? So wie sie sich verhält, muss sie verhext sein.«
    Sie stöhnte laut. Auch aus Arnulfs Mund war ein zähes Ächzen zu hören. Er bewegte sich so steif wie seinerzeit im Kloster die alte Äbtissin. Dennoch blieb sein Blick wach.
    »Und solches soll im Kloster niemand bemerkt haben?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht, warum man sie von dort fortgeschickt hat«, keuchte Bertha. »In jedem Fall ist’s unmöglich, dass sie zu den Tumben und Blöden zählt, denn es heißt, sie habe dort in der Krankenstube gute Dienste versehen und die Heilkunst erlernt. Und dennoch...«
    »Was ist es denn, womit sie Euch bekümmert?«, fragte Arnulf neugierig.
    Bertha konnte es nicht laut aussprechen. Sie trat auf den Mann zu, und wiewohl er vor ihrem schwitzigen Gesicht zurückzuckte, neigte sie sich zu ihm und flüsterte ihm Sophias Vergehen zu.
    Sophia beobachtete sein Gebaren wachsam.
    Trotz der aufgeregten Worte vermochte die schnaufende Bertha kein Entsetzen in seinen Zügen zu erzeugen, sondern nur Ekel ob des verschwitzten, geröteten Gesichts. Er trat zurück, je näher sie ihm kam, und als ihm schließlich kein Platz mehr blieb, so brachte er sie mit einer herrischen Handbewegung zum Innehalten. Nun, da sie schwieg, wandte er sich prüfend Sophia zu.
    Oft hatte sie im Hause ihrer Tante von Arnulf reden gehört. Anders als ihr Vater, Bernhard von Eistersheim, der trotz hoher Herkunft geächtet war, war dieser entfernte Anverwandte ein Gerühmter. Als Kaufmann war er trotz erbitterter Konkurrenz mit den dänischen Händlern der Sankt-Knuts-Gilde reich geworden, hatte zuerst Salz, Heringe und Tuche, später Flachs, Getreide und Pottasche, zuletzt die teuersten Waren: Pelz, Juwelen und Wachs sicher über die Meere gebracht. Wiewohl sich seine alten Glieder gegen mühsame Fahrten auf der sturmumtosten See sträubten, wusste er immer noch reiche Geschichten zu erzählen, die die aufregende Vergangenheit lebendig hielten,

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