Die Chronistin
Möwenscheiße, die nichts weiter vermögen, als zu stinken. Seine Verbände legt er an, ohne Geschwüre aufzuschneiden. Und klagt man über Schmerzen, so schröpft er, auf dass man sich nachher noch schwächer fühlt. Nein, hilfreicher ist’s da noch, in die Kirche zu gehen, um dort die Heiligen anzurufen. Freilich habe ich noch keinen gefunden, der mir wirklich helfen könnte. Gewiss, der Heilige Blasius lässt Halsschmerzen vergehen, doch was tut man, wenn sie in den Leib wandern? Dann ruft man dem Heiligen Erasmus zu, erhofft Linderung und erfährt doch nichts anderes, als dass die Schmerzen nun weiter in den Kopf ziehen. Gewürm scheint’s zu sein, was sich dort krümmt – und man bittet Dionysius, dagegen zu kämpfen. Und kaum hat er die Stirne frei gemacht – ei, schon juckt die Zunge. Die Nächste nun, Sankt Katharina ist zu bitten. Doch hast du allen ein Kerzlein angezündet, so hockt der Schmerz nun eben in den Fersen, und welcher von den himmlischen Scharen pflegt die Füße? Nein, ich brauche jemanden, der die irdische Heilkunst versteht.«
Sophia hatte ihn aufmerksam gemustert, gewahrend, dass die langen Reisen, die er jetzo unternahm, nicht mehr auf die Weltenmeere führten, sondern in die Enge des eigenen Körpers. In unendliche Wege und Bahnen schien jener sich zu verzweigen, an deren Ecken und Kreuzungen größere Ungeheuer zu erwarten waren als während der Schifffahrt.
»Ich verstehe davon«, hatte sie geantwortet – nach über einem Jahr zum ersten Mal die Stimme nutzend, »und will Euch gerne pflegen, ja, den Körper stählen, sodass er gar nicht erst der Krankheit anheim fällt. Was aber kriege ich dafür?«
Sodann hatten sie einen Pakt geschlossen: Ihm war fortan bei seinem aufreibenden, spannenden Kampf gegen die Vergänglichkeit eine wissende Helferin gegeben und ihrem angeödeten Geist endlich wieder Nahrung. Sie hingegen durfte lesen, was sich in seinem Haus vorfinden ließ – ob Berechnungen seiner Geschäfte, ob Briefe, in deren Latein sich manchmal fremde Sprachen stahlen, ob schließlich Zeugnisse seiner Abenteuer und seiner vielen Rechtsstreite mit den feindlichen dänischen Kaufleuten. Gerne auch hörte sie ihm zu, wenn er von der Welt erzählte – dass Kaiser Friedrich beim Kreuzzug ertrunken und ihm sein Sohn Heinrich nachgefolgt sei, dass schließlich Englands Richard und Frankreichs Philippe nach Jerusalem gezogen wären, um es aus Saladins schändlichen Armen zu befreien. Sie schrieb es auf, um es nicht zu vergessen, und indessen sie es las, vertrieb sie den Gedanken daran, dass ihre Stunden bei Arnulf nur wenige ausgewählte waren, sie alsbald aber wieder zu der grässlichen Bertha, ihrem zahnlosen Mann und den verblödeten Kindern heimkehren musste.
»Nun, Mädchen, kann ich das Wasser wärmen?«, fragte Arnulf eben ein zweites Mal, da sie zu lange gewartet hatte, ihm Antwort zu geben.
»Ich denke doch, es kann nicht schaden«, meinte Sophia. »Es mag den Gliedern gewiss wohler tun. Auch solltet Ihr meiden, zu lange auf dem kalten Boden zu stehen.«
Arnulf nickte begeistert, um freilich sogleich seine Stirne zu runzeln. »Im Augenblick«, gestand er, »sind’s nicht zuförderst Gliederschmerzen, die mich quälen, sondern anderes.«
Sie trat auf ihn zu. Meistens sprachen sie über weiten Abstand, denn die Nähe anderer Leiber mitsamt den möglichen Schweißperlen, Wunden und Ausdünstungen verschreckte ihn. Es ging die Mär, dass er seit dem Tod seiner Karin keine mehr berühren wollte, obgleich die Freudenmädchen gerne bei ihm verdient hätten.
»Gibt es etwas, wobei ich Euch helfen kann?«, fragte Sophia.
Er zögerte nur scheinbar.
»Ich leide an einer Sache«, bekannte er dann verschwörerisch und nicht ohne übliche Begeisterung, wenn er von einem neuen Schmerz zu künden wusste, »von der sich schwer nur berichten lässt – schon gar nicht einem unschuldigen Mädchen wie dir. Es mag auch einem ehrenwerten Mann wie mir nicht anstehen, dir dieses Wundmal zu zeigen. Und dennoch wüsst’ ich keinen anderen, dem ich mich anvertrauen kann.«
Er lag auf seinem Buch wie auf einer festen, strammen Kugel, den Kopf in ein Kissen gesenkt, sodass das Reden nuschelnd geriet. Er sprach fortwährend – entweder um Angst vor Schmerz fortzuplappern oder Verlegenheit.
In der Falte seines Gesäß’ wucherte seit Wochen ein Furunkel, der insbesondere schmerzte, wenn er am Abort sein Geschäft verrichtete. Alle Salben, die der unfähige Bader verschrieben hatte, hatten
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