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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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beeindruckte mit seinem hochherrschaftlichen Haus, welches aus Stein gebaut war, und schließlich auch mit der Behauptung, er wäre aller Sprachen der Welt mächtig. Da niemand in Lübeck befähigt war, dies zu prüfen, glaubte man ihm.
    »So«, murmelte er jetzt, mehr zu Sophia als zu Bertha hin, »sie spricht also nicht.«
    »Kein Wort! Und das, seitdem sie bei uns lebt. So frage ich mich: Ist sie verstockt oder böse?«
    »Sie macht mir einen recht harmlosen Eindruck.«
    »Hach!«, machte Bertha unwirsch und blickte sich nach einem Stuhl um, die wehen Beine zu entlasten.
    Sophias Blick suchte auch. Unmerklich hatte er Arnulf losgelassen und war durch den Raum geglitten, in dem Arnulf nicht nur Angehörige seiner Familie zu treffen pflegte, sondern Händler und Dienstleute, die jetzo für ihn seine Geschäfte erledigten. Er gehörte zu den wenigen seiner Zeit, die diese auf Schriftrollen festhielten, auf dass man ihn nicht betrügen konnte wie viele andere seiner Zunft, die allein auf das mündliche Wort vertrauten. Er behauptete sogar, dass einzig der Gebrauch der Schreibkunst ihn gegenüber der dänischen Konkurrenz so reich und mächtig hatte werden lassen.
    Bertha hatte sich eben erst schnaufend fallen lassen, als sie zu ihrem Schrecken bemerkte, wie ein Ruck durch Sophia ging, ihre dürre Gestalt sich versteifte und sie im nächsten Augenblick stur in eine Ecke des Raums ging – ohne dass man es ihr erlaubt hätte.
    »Was tust du denn, Mädchen?«, rief sie entsetzt, wenngleich nicht willig, sich mit der Schnelligkeit der anderen zu messen. Müde blieb sie sitzen und überließ es Arnulf, Sophia dorthin zu folgen, wo sie nach dem Federkiel griff. Die Tinte, mit der sie schrieb, war aus Gallapfel und Eisensalz gebraut und die Schrift, die sie erzeugte, zuerst blassgrau. Je länger aber ihre Worte geschrieben standen, desto mehr dunkelten sie nach.
    Ich spreche nicht, weil man mich nicht schreiben lässt. Was soll ich sagen, wenn niemand mich versteht? Die Familie meiner toten Mutter ist einfältig und dumm, mein Leben für alle Zeiten verdorben.
    Sie schrieb nicht schön und sorgfältig wie einst im Kloster, da jeder Buchstabe zum spitz gestochenen Kunstwerk geriet. Sie kritzelte es einfach hin – verzweifelt, wütend und irgendwie auch unbehaglich, weil der Entschluss zum Schweigen nicht nur vom dumpfen, geistlosen Dasein bei Bertha herrührte, sondern auch von der bitteren Ahnung, sie sei selbst schuld an diesem Geschick; es stünde ihr nach dem grässlichen Klosterbrand und den eigenen Untaten, die dazu geführt hatten, kein anderes zu.
    Nachdem sie ihr Werk zu Ende geführt hatte, warf sie es Arnulf nahezu vor die Füße.
    Er blickte nachlässig darauf, ehe er sich zur keuchenden Bertha neigte.
    »Ihr hättet sie früher zu mir bringen sollen!«, rief er ihr mit aufmunternder Stimme zu, die freilich kurz leidend geriet, als jäh ein zäher Schmerz den gedrehten Hals durchzuckte. »Ganz einfach ist des Rätsels Lösung!«
    Berthas Schnaufen wandelte sich in Husten. »Was will denn die unnütze Maid?«
    »Nicht Ungehorsam treibt sie«, antwortete er und zwinkerte Sophia verschwörerisch zu, »vielmehr ist’s Frömmigkeit, und dafür solltet Ihr sie loben. Sie hat ein Gelübde abgelegt, für ein Jahr zu schweigen – der Mutter Gottes zum Wohlgefallen. Bald wird sich jenes zu Ende neigen.«
    Bertha ließ sich zurücksinken. Sophia aber stampfte unmerklich auf, sah ihm erstmals direkt ins Gesicht und blitzte wütend mit den Augen.
    »Still, still, willst mir jetzt doch nicht mit dem Reden anfangen wollen«, raunte Arnulf ihr zu, um sich sodann wieder der dicken Tante zu widmen. »Da ich Euch nun aber empfangen durfte, kommt mir ein Gedanke: Seht Euch um in meinem Haus! Die Frauenhand fehlt an allen Ecken, seitdem ich meine gute Karin begraben musste, und das ist länger her als ein Jahrzehnt. Könnt Ihr mir nicht manches Mal Eure Nichte schicken, auf dass sie hier erlernen möge, wie man den Haushalt führt? Wem immer Ihr sie als Gattin geben wollt, wird’s Euch und mir danken.«
    Wütend stampfte Sophia erneut auf, indessen die Tante rätselnd die Augen zusammenkniff und nicht wusste, ob ihre Nichte eine Auszeichnung erfuhr oder mit einem unerhörten Ansinnen beleidigt wurde.
    Arnulf kümmerte sich nicht um sie.
    »Nick einfach!«, flüsterte er Sophia zu. »Es wird sich für dich lohnen.«
    Die Wasserträger schleppten schwere Krüge, und Arnulf bewachte sie, ob auch nichts von der kostbaren Fracht auf

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