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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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den Boden schwappte. Ungewöhnlich schnell gerieten seine Schritte, des Schmerzes bar, was nicht nur die Männer erstaunte, sondern auch Sophia.
    Einige Monate nun besuchte sie Arnulf regelmäßig, und gleichwohl sie derweil wusste, dass dieser Mann nicht nach den üblichen Gesetzen zu messen war, sondern viele Eigenheiten hatte, so war die heutige Erregung noch sonderlicher als sein sonstiges Gebaren.
    »Nicht so schnell! Nicht so schnell!«, fuhr er einen der Träger an, als der sich beugen wollte, um einen Tonkrug aufzusetzen. Randvoll war dieser gefüllt, jedoch nicht mit kostbarem Wein, sondern mit schlichtem, farblosem Nass, das nichts anderes als Wasser sein konnte. Dennoch gerieten Arnulfs Bewegungen fast hüpfend. »Für jeden Tropfen, den du vergießt, Dummkopf, fängst du dir eine Ohrfeige ein!«
    Sophia merkte kaum, wie sich ein Lachen aus ihrer Kehle schälte – hell und klar und leicht. Früher war solches im Kloster streng verboten gewesen, und in den ersten Monaten, die sie bei Tante Bertha gelebt hatte, hätte es niemals aus der zugeschnürten Kehle fahren können. Bei Arnulf aber gab es manches zu beobachten, das sie nicht nur die Sprache wiederfinden ließ, sondern ein mädchenhaftes Kichern.
    »Was erhofft Ihr Euch von diesem Wasser, dass es Euch derart kostbar deucht?«, rief sie grinsend. Sie wusste, dass er sich gerne und häufig wusch – mit freudigem Grauen pflegte er zu berichten, dass bei einem befreundeten Kaufmann die mangelnde Reinlichkeit zur Krätze geführt habe; jener habe zu oft im schäbigen Wirtshaus übernachtet, wo die Gäste gemeinsam mit verdreckten Mähren in der rauchigen Stube schliefen, ohne sich hernach zu baden. Dass er um diese Eimer Wasser jedoch derartiges Aufsehen betrieb, verstand sie nicht.
    Arnulf zögerte nicht, sich ihr zu erklären. Alles, was die Behandlung seines Leibes betraf, der altersbedingt schmerzte und ihn gar manches Mal dem Schrecken auslieferte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, wurde von ihm mit großer Ernsthaftigkeit und Ausführlichkeit erörtert. Einst hatte er mit Waren gefeilscht und den äußersten Preis herausgeholt. Jetzt schien ihm jedes Wehwehchen zum Handelsgut geworden, das er der Welt aufschwatzen wollte, auf dass sie’s ihm mit Mitleid lohnte. Seine Stimme geriet dann zwar weinerlich, aber war zugleich vom ernsten Stolz getragen, als wäre die Geschichte seiner Knochen so spannend und aufregend wie seine Erzählungen von der weiten Welt.
    »Das ist kein gewöhnliches Wasser«, erklärte er eitel. »Drei Tagesreisen währte sein Weg zu mir. ‘s ist nämlich das Wasser, worin sich ein Mönch gebadet hat, und jenem sagt man nach, er wäre ein Heiliger. Seit Jahren nährt er sich nicht von Brot, sondern einzig vom Leib Christi und magert dabei doch nicht ab. Gewiss wird er direkt in den Himmel fahren, ruft ihn der Herrgott zu sich. Und so sage ich mir, dass alle Schmerzen mir vergehen müssten, tauch ich erst meine Glieder darin ein.«
    Sophia verkniff sich das Lächeln. Es gab nur eines, was Arnulf noch mehr beschäftigte als die Linderung seines Leidens: sein Wunsch, sauber zu sein. Nun schien er ein Mittel gefunden, den einen Wahn mit dem anderen zu verbinden.
    »Gedenkt Ihr es, vorher zu erwärmen?«, fragte sie ernsthaft, denn ihr Wert – so mahnte sie sich zur Vernunft – lag nicht darin, ihn zu bespötteln, sondern von der reichen Heilkunde des Klosters zu berichten und solcherart die Verbündete in seinem Kampf gegen den drohenden Verfall zu werden.
    Er runzelte die Stirn.
    »Was meinst du, Mädchen? Kann ich’s wagen?«
    Sie gab vor, lange zu überlegen, und war im Innersten froh, dass er sich mittlerweile auf ihren Rat angewiesen wähnte.
    Nach dem ersten Besuch mit Tante Bertha war er noch nicht gewiss gewesen, ob sie tatsächlich seinem Anliegen nützen könnte. Schriftlich und zuförderst in Latein hatten sie zunächst kommuniziert, und er hatte sich bestätigen lassen, dass sie im Kloster tatsächlich die Heilkunst erlernt hatte. Diese reichte, wie er zu seinem Glück erkannte, weiter, als dass sie nur mancher Fiebernden den Schweiß von der Stirn gewischt hatte. Obendrein, so erfuhr er von ihr, die sie alles getreulich aufschrieb, war sie vieler uralter Rezepte mächtig.
    Beglückt hatte er die Feder beiseite geworfen, weil er im Sprechen schneller war und viel zu sagen hatte: »Gott sei’s gedankt! Wisse, Mädchen, der Bader in dieser Stadt ist ein Stümper. Er braut Salben aus Gewürm, Spinnenblut und

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