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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schrecken. Gewiss würde er eines Tages von selbst merken, dass es unsinnig war, sie immer wieder gehen zu lassen.
    Nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte und heimwärts schritt, waren ihre Schritte zögerlich. Indessen der Weg hin zu Arnulfs Haus ihr immer zum Hetzlauf geriet, ließ sie nun den Blick gegen den weitläufigen Himmel schweifen, wo sich Wolken zu Geweben spannten. Das Pfingstfest war eben vorbei, und mit dem Juni begann der Sommer, und doch wähnte sie sich schon jetzt der bedrückenden Herbst- und Winterzeit entgegengehen, da man sich im Haus der Tante gegenseitig behockte. Antje, das Weib des zweiten Sohns, hatte eben ein Kind geworfen, das, bis der Schnee fiel, zum zahnlosen Balg würde gewachsen sein. Quengelnd würde es die Stube aufreiben, wo dann der erste nach dem Kind treten würde und der zweite gegen den, der diesen Fußtritt austeilte.
    Sophia versuchte, das Grauen zu schlucken.
    Arnulf wird mich diesem Elend nicht überlassen, dachte sie entschlossen. Noch ehe der Sommer vorüber ist, muss ich ihn dazu bringen, dass er mich von dort befreit, und dann kann ich...
    Unpassend wurde der nüchterne, beruhigende Gedanke unterbrochen. Eine keifende Stimme zwängte sich darein, so fett und Platz raubend wie der Leib, aus dem sie gekrochen kam. Oftmals hatte die Tante Bertha schon so mit Sophia geredet – doch unzumutbar war, dass sie heute schon zwanzig Schritte vor dem Haus damit anfing.
    »Bequemt sich das Fräulein also, nach Hause zu kommen!«, schrillte Tante Bertha. »Magst ja gar nicht genug von unserem werten Arnulf kriegen!«
    Seit sie wieder schreiben durfte, hatte Sophia auch gegenüber der verhassten Familie zu sprechen begonnen, gleichwohl die Worte meist sparsam ausfielen.
    Jetzt war ihre Entgegnung laut und unwirsch: »Hast mich doch selbst zu ihm geschickt. Was stört’s dich also?«
    »He, he!«, schnaufte Bertha, streckte den schwerfälligen Arm aus, um das Mädchen zu packen, und wurde umso wütender, als diese flink entwich. »Nur nicht frech werden! Ich habe mich auf seinen Vorschlag eingelassen, das gewiss. Doch diente dieser, dich zum Sprechen zu bringen – was du nun endlich tust –, und desgleichen, dich auf das Heiraten vorzubereiten. Seit längerem aber schwant mir der Verdacht, dass dich Arnulf nicht seinen Boden schrubben lässt, wie’s einer wie dir gebührt. Zu hochmütig in die Luft gereckt ist mir das vornehme Näschen.«
    Sie sprach spuckend, und Sophia wich dem Speichel wie den Händen aus.
    »Ich halte meine Nase hoch, weil’s in deinem Hause stinkt, werte Tante!«, gab sie unbeherrscht zurück.
    »Oho! Und so wird mir also gedankt, dass ich dir eine Heimstatt gewährte, nachdem man dich aus dem Kloster gejagt hat! Aber komm mir nicht so, Mädchen! Ich habe es satt, mit anzusehen, wie du dieses Haus fliehst und dir zu schade bist, mit anzupacken! Ich schätze den werten Arnulf, das gewiss, doch ist er reich genug, sich Dienstmägde zu bezahlen. Warum, so denke ich mir, soll ich dich ihm überlassen, wenn Gleiches, wozu ich dich zu ihm schicke, auch an diesem Ort zu tun ist?«
    Die Beine der Tante waren von der Sommerhitze zum Platzen aufgeschwemmt. Der Anblick nährte Sophias Ekel und vermischte ihn mit allem früheren, der ihr jemals würgend die Kehle hochgestiegen war – ob wegen Arnulfs Furunkel, Griseldis’ klebriger Scham oder all den Verbrennenden, Verletzten, Speienden, Kranken, die sie in ihrem Leben schon hatte sehen müssen.
    In der Ferne grollte jäh Gewitter, und dem tiefen, zornigen Laut glich Sophia ihre Stimme an.
    »Du bist eine widerwärtige, alte Vettel! Du bist es nicht wert, mich auch nur anzusehen! Wo du und die deinen zusammenhocken, ist’s mir, als würden sich Säue suhlen! Wag’s nicht, nach mir zu greifen, vor allem aber nicht, mir den Besuch bei Arnulf zu widersagen!«
    Keinen klaren Laut mochte Bertha ob dieser Frechheit hervorbringen. Sie kreischte auf, wuchtete den Leib nach vorne, als wolle sie Sophia damit zermalmen, und fiel auf den Boden, als jene geschickt auswich.
    »Hiergeblieben, Mädchen!«, zischte sie. »Du läufst mir nicht davon.«
    »Renn mir doch nach!«, höhnte Sophia. »Jedes Wildschwein hat flinkere Beine!«
    Die Dicke krabbelte am Boden wie ein Käfer, suchte sich aufzurichten und erstickte fast an ihrem Husten. Lachen wollte Sophia – laut und böse und über allen Ekel hinweg, den ihr das derbe Menschenpack aufzwang.
    Doch das Lachen verging ihr, als drohend und weitaus flinker und gewandter

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