Die Chronistin
dass sie danach trachtete, Ragnhild zu sagen.
Sophia hatte freilich keine Zeit, darüber zu rätseln. Kaum nämlich war die Prinzessin beschwichtigt, so hörte sie es klopfen und einen der Dänen nuschelnd zu ihnen sprechen.
»Ragnhild!«, rief er aufgeregt. »Wir sind nicht mehr weit vom Ziel entfernt – schon sehe ich dort vorne die Menschen warten. Jedoch...«
Kaum hörte sie die nächsten Worte. Jäh prasselte ein Lärm auf sie ein, der zu gewaltig war, als dass er aus Menschenmündern stammen könnte. Als Sophia das dunkle, im Regen stinkende Leder von der Luke zog, um hinauszusehen, erkannte sie, dass der Tag noch größere Unbill bereithielt, als sie befürchtet hatte.
Der mürrische Wind, der in der letzten Stunde aufgezogen war, hatte die Wolken vor sich her, aber nicht weggetrieben. Nun wurden aus dem Nieseln prasselnde Tropfen, die die Wartenden und Ankommenden nicht nur gänzlich durchnässten, sondern alle Laute übertönten. Wie eine Wand stand der Regen – und alles, was sich durch die Luke erschauen ließ, war von ihrem nassen Grau verzerrt.
Dahinter war kein würdiges Zeremoniell auszumachen, sondern ein wüstes, fluchendes Durcheinander, indem es zuvörderst galt, sich vor der Nässe zu schützen, nicht aber, Prinzessin Isambour in allen Ehren zu begrüßen.
Die wenigsten standen still.
Guillaume de Ste-Geneviève, welcher die Mitgift mitverhandelt hatte, schimpfte mit einem Pagen, da jener verspätet einen schützenden Mantel hochhielt. Sire de Montgomery und Bernard de Vincennes pressten sich die Hände vor die Stirnen, damit der Regen nicht in die Augen träufelte.
Rigord von Saint-Denis schließlich, der Bischof von Noyon und der Graf von Nevers verweigerten sich der Begrüßung vollends und suchten Unterschlupf in trockenen Kutschen.
Am lachhaftesten fielen die Bewegungen eines Mannes in edler Rüstung aus – es war dies Henri Clement, der Sohn von König Philippes einstigem Erzieher, der mit den Schuhen fast knietief im Schlamm versunken war und nun versuchte, daraus zu entsteigen. Beinahe fiel er hin, nachdem er trotz tänzelnder Bewegungen keinen festen Boden unter sich fand – und obendrein sein durchnässtes Pferd scheute und stieg.
Als das Prasseln ein wenig leiser wurde, suchte Sophia nach dem König. Zunächst ward jede Regung des Kopfes bestraft, indem die Nässe erbarmungslos darauf einströmte. Just in dem Atemzug jedoch, da sie sich unwirsch die Tropfen abwischte, erspähte sie Philippe von Frankreich – der in jener verregneten, verschmutzten und frierenden Gesellschaft nicht königlicher oder erhabener wirkte als die anderen.
Sein tiefblaues Gewand triefte. Die dornenlose Blume, die darauf gestickt war – jene Lilie, welche dereinst schon Karl der Große hatte auf Krone und Zepter abbilden lassen – leuchtete nicht golden daraus hervor, sondern wie Flecken des hoch gespritzten Schlamms. Er war groß gewachsen, die Schultern breit und stark und der Hals hochmütig gereckt – sein Blick jedoch kannte keine Erhabenheit, sondern irrte mit einem Ausdruck von Verwirrung und Panik herum, als gelte es verzweifelt einen Schuldigen zu finden, der mitten im ansonsten doch so heißen, sonnigen August dieses Unwetter heraufbeschworen hatte.
Die Ankunft seiner Braut schien er gar nicht zu bemerken, und erst als ihn ein dunkler, groß gewachsener Priester – der Einzige, dem der Regen nichts anzuhaben schien – vorsichtig anstieß, so fuhr er herum, allerdings nicht erwartungsfroh, sondern griesgrämig, ja, fast ungläubig, dass zur Zumutung des Regens noch eine weitere kommen könnte.
Hastig zog Sophia den Kopf zurück, um sich im Inneren der Kutsche zu verstecken und dort in Ruhe Isambour auf den Wartenden einzustimmen. Vielleicht, so hoffte sie, würde der Regen – wiewohl er etwas nachzulassen schien – das Zusammentreffen noch länger hinauszögern. Doch während sie noch halb gebeugt stand, bemerkte sie, dass Isambour von sich aus aufgestanden war, und bevor sie sie zurückschieben konnte, ward schon von außen der Verschlag des Gefährts geöffnet und des Königs Blick auf beide Frauen freigegeben. Er war noch immer gereizt ob des Regens und irgendwie beunruhigt, weil sich die Flut der Wolken so wenig vorherbestimmen ließ, wie das, was ihm da aus der Kutsche entgegentreten möge.
Sophia erwiderte den Blick und suchte in dem regennassen Gesicht nach einem Zeichen freundlichen Interesses. Ein zweites Mal gewahrte sie darob nicht, wie Isambour sich hinter ihr
Weitere Kostenlose Bücher