Die Chronistin
ungern berühren ließ, Sophia das ruppige Schütteln nicht mit noch lauterem Geplärr ahndete, sondern mit einem verwunderten Blick, in dem kurzwährend nicht Weltenflucht geschrieben stand, sondern Erstaunen.
»Es überrascht mich, dass sie sich dir nicht zu entreißen sucht«, murmelte Gret ehrfürchtig, »doch scheint sie zu erahnen, dass du ihr zur Seite stehen willst.«
Sophia wich dem bewundernden Blick aus und war einzig erleichtert, dass der verrückte Geist zum Mindestmaß an Fügung fähig schien.
»Es kommt also nur selten vor, dass sie solcherart aus der Fassung gerät und schreit?«, fragte sie. Nun, da Isambour verstummt war, begann sie, das befremdende Benehmen zu erkunden und es, als stamme es von einem ungezähmten, wilden Hund, auf Regeln abzustimmen.
»Wie ich schon sagte«, murmelte Gret, »die meiste Zeit ist sie still. Schwer ist’s auch, im Vorhinein zu erahnen, was sie erregt und was sie ruhig stellt. Fremde Gesichter sind’s offenbar nicht – denn deines kannte sie nicht und doch lässt sie dich nach ihr greifen. In jedem Fall – sie blickt dich mit Vertrauen an. Es kann nichts anderes bedeuten, als dass du eine starke Frau bist und die Feen des Nordens dich für würdig befanden, dir ihr verwunschenes Kind anzuvertrauen.«
»Ganz gleich, was in den nächsten Tagen und Wochen geschieht«, bestand Sophia auf der eigenen Führung, »ich weiß die fremden Sitten besser einzuschätzen als du. Mach stets, was ich dir sage.«
Gret widersprach nicht, und Sophia selbst ergab sich seufzend ihrem Schicksal.
Ich muss vor dem König Isambours Wahnsinn verbergen, beschloss sie noch am ersten Tag. Wird er erst davon Zeuge, schickt er sie zurück in den Norden – und was soll dann mit mir geschehen? Nein, er muss sie ehelichen, er muss sie in sein Bett nehmen, er muss...
... und dann schließlich, wenn sie auf seine Berührung reagiert so wie auf die eines jeden Mannes, ja, wenn er solcherart die Wahrheit zu erahnen beginnt – dass er nämlich mit einer Schwachsinnigen vermählt worden ist – , so ist’s zu spät, um sie zurückzuweisen und Dänemarks König zu brüskieren.
Jeden Tag ihrer mühseligen Reise wiederholte Sophia innerlich diesen Entschluss, so auch am heutigen, verregneten. Längst war es Mittag und der Zeitpunkt überschritten, da das Zusammentreffen mit dem König angesetzt war.
Argwöhnisch behielt Sophia Isambour im Blick – und wurde beunruhigt, als jene auf das heftige Ruckein reagierte.
Sie hatte ihr das Haar so glänzend gekämmt, dass es ein warmer Farbklecks inmitten des grauen Tags war, und wenn sie den Mund geschlossen hielt, so schien sie ein schüchternes, hübsches, braves Mädchen zu sein. Jetzt aber tönte leises Wimmern daraus hervor. Die Augen waren zwar ausdruckslos wie immer, aber suchten Schutz in den dunklen Augenhöhlen, wanderten nach oben und hinterließen bedrohlich viel Weißes. Die Lippen zuckten und sammelten an ihren Rändern weißen Schaum.
Sophia fluchte im Stillen, hockte sich neben die Prinzessin und ergriff deren Hände.
»Bitte«, sprach sie beruhigend auf sie ein und nutzte die eigene Muttersprache, da Isambour ohnehin niemals den Wortlaut verstand. »Bitte, beruhigt Euch, bald treffen wir den König.
Stellt Euch ihm und seinen Begleitern blind und verbietet Euch das Geschrei! Wisst Ihr denn nicht, dass Euer Leben davon abhängt?«
Der letzte Satz war eine Lüge. Es war das eigene Dasein, das an einem solch hauchdünnen Faden hing und um das sie erbittert zu kämpfen begonnen hatte.
»Wie anders können wir sie überlisten, als wenn Ihr Ruhe gebt?«, sprach sie fort, nicht nur beruhigend, sondern leise hadernd.
Immerhin verfehlte sie die Wirkung nicht. Isambours Atem ging nun langsamer, die Lider senkten sich und zeigten nicht länger das verstörende Weiß.
»Tut, was ich Euch andeute!«, flehte Sophia. »Ihr wisst doch, wer ich bin, nicht wahr? Ich bin Ragnhild von Eistersheim, die man auch Sophia nennt.«
Sie hatte sich bereits am ersten Abend Isambour mit jenem Namen vorgestellt. Das Wiederholen der Silben bewirkte gewisse Gewöhnung.
»Ja«, erklärte Sophia erneut und mied das Ich, »Ragnhild ist’s, die neben Euch steht, und Ihr tut, was Euch Ragnhild sagt, denn Ragnhild weiß, wie man sich verhalten muss.«
Der weiße Schaum trocknete an den Mundwinkeln. Es schien kein neuer hinzuzukommen; stattdessen hörten die Lippen zu zittern auf und versuchten etwas zu formen. Mit gutem Willen hätte man hineinvermuten können,
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