Die Chronistin
Kirche die Messe. Isambour kniete mit Philippe vor dem Altar und verblieb gottlob ruhig, als über sie beide – zum Zeichen ihrer künftigen Verbindung – ein Tuch ausgebreitet wurde. Die zelebrierenden Bischöfe waren vom Regen durchnässt, froren erbärmlich und verschluckten die lateinischen Silben ob ihres Zitterns so sehr, dass ihr Reden einer fremden Zaubersprache glich. Der weiße Seidenstoff ihres Unterkleides – der Alba – war grau vom Regen; die kleinen Schellen aus Gold, die am Ende ihres Gürtels hingen, waren mit Schlamm befleckt. Ihre Finger, die in purpurfarbenen Seidenhandschuhen mit eingesticktem Kreuz steckten, bebten in einem fort und gruben sich nur allzu gern in die Überhänge.
Zurück in der Burg zollte niemand der dänischen Prinzessin Aufmerksamkeit – auch nicht die französischen Damen aus dem Hause der de la Tour und der de Beaumont, deren Gatten in
Paris die wichtigsten Hofämter innehatten. Sie waren nach Amiens gekommen, um Isambour zu Diensten zu sein, doch anstatt sich vorzudrängen und Sophia und Gret deren Rechte streitig zu machen, blieben sie abwartend stehen und verspotteten mit stechendem Blick die schlichten Gewänder, die sie trug. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie die schlecht gekleidete Frau aus dem Norden entgegen jeglichen politischen Bündniswunsches zu gering deuchte, um sich ihrer anzunehmen.
Die französischen Damen selbst trugen rote und dunkelviolette Kleider aus Atlas, Brokat, Samt und Damast. Hinzu kam kostbarer farbiger Schmuck aus Rubinen, Smaragden und Diamanten – Sophia hatte noch nie so ein Funkeln gesehen. Später bei der Hochzeit und beim Abendmahl gewahrte sie, dass nicht nur die Mode der Frauen um vieles farbenprächtiger war als im Norden, sondern dass sich selbst die Männer mit Ketten schmückten, die vorne am Hals zusammengehalten wurden, und nicht nur die schlichten Pelze vom Kaninchen, Iltis und Fuchs trugen, sondern – selbst mitten im Sommer – vornehmsten Zobel und Hermelin. Noch erstaunlicher aber war ihr der erste Anblick eines Schnabelschuhs, bei dem sich – und solches hatte sie noch nie gesehen – der rechte vom linken unterschied.
Das eigene andauernde Staunen half Sophia, die Furcht um Isambour und um das künftige Schicksal zu vergessen. Das Abendessen lenkte sie gänzlich davon ab, dass mit der kommenden Hochzeitsnacht die schlimmste und größte Prüfung bevorstand, denn fremd wie die prächtigen Gewänder war das edle Bankett, in dessen Verlauf der Sänger des Königs, Guillaume Le Breton, die junge Ehe besang. Nie hatte Sophia solch vornehmes Mahl erlebt: Der Boden war mit Rosenblättern bedeckt, den Wein trank man aus hauchdünnen, farbigen Gläsern; in goldenen Schüsseln wurden die Speisen herumgereicht, und das Fleisch wurde nicht mit den Händen oder dem Messer zum Mund geführt, sondern mit zierlichen Zinken aus Silber.
Die Speisen standen den edlen Sitten nicht nach: Es wurden gegrillte Eichhörnchen gereicht, gebratenes Igelfleisch und Froschschenkel, Eieromelett mit gewürfelten Zwiebeln, Mandeln und Knoblauch, Suppe mit Safran, Garnelen und Krebse, Spanferkel, gefüllt mit Bohnen, Pilzen und Knoblauch. Köstlich anzusehen waren die drei Pfauen und zwei Schwäne in einem Sud von Sumach-, Zitronen- und Granatapfelsaft, Wildschweinbraten mit Pflaumen, Hasengulasch und Rebhuhn mit roten Rüben. Zuletzt brachten die Bediensteten gebackene Äpfel, Pflaumen, Rosinen und Honigkuchen.
Zum ersten Mal seit Wochen aß Sophia mit Appetit. Sie wusste Isambour zierlich, reglos und von den meisten unbeachtet neben dem König hocken und gönnte sich die Atempause, um sich den Magen voll zu schlagen. Zwar fiel es ihr schwer, die Gerichte auf die absonderlichen Silberzinken zu spießen – aber sie wollte kein einziges auslassen, bis sich ihr Magen anfühlte, als wäre er mit Steinen genährt worden, und ihr ein unangenehmer, säuerlicher Geschmack durch die Kehle stieg. Sie presste die Hand vor den Mund, auf dass sie nicht lautstark rülpsen musste, wie es die Männer an der Tafel beherzt taten.
Als sie den üblen Geschmack heruntergeschluckt hatte, senkte sich ein dunkler, schmaler Schatten über den Tisch.
Der dunkle Priester mit den kühlen, aber wachen Augen, der sturer als manch Ritter und Page an des Königs Seite klebte, war zu ihr getreten. Er hatte den ganzen Abend nichts gegessen, manches Mal jedoch prüfende Blicke auf die Prinzessin geworfen.
Sophia fuhr ob seines lautlosen Näherkommens erschrocken
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