Die Chronistin
machen, wenn er lieber schwieg? Wie einer Neid kundtun, wenn alle anderen ihm doch gleichgültig waren? Wie einer maßlos sein, wenn doch alles, was das Leben aufdrängte, bereits zu viel war?
Ja, sie war eine gehorsame Magd Gottes.
Nur an manchen Tagen erahnte sie tief drinnen im Herzen, dass Gott ihr so gleichgültig war wie die Menschen und dass sie ihn für einen jener lauten, fordernden, herrschsüchtigen Männer hielt, vor denen sie hierher ins Damenstift geflohen war.
Mit den Prüfungen, die er ihrem Leben auferlegt hatte – der Verlust der drei Gatten und der sechs Kinder – , haderte sie selten, jedoch mit dem Verdacht, dass Gott jenem abwechslungsreichen Spiel aus trostlosem Leben und Sterben viel lieber zusah als ihrem gemächlichen Klosterleben.
Roesia wagte einen Blick auf die tote Cathérine, deren dunkles Kleid bis oben hin geschlossen war, sodass das tief hängende, fette Kinn verborgen war, und wähnte sich jäh vom Allmächtigen mit diesem Leichnam bestraft.
Er gönnte ihr die Zurückgezogenheit nicht. Er plagte sie mit zwei rätselhaften Todesfällen und mit dem Verdacht, dass irgendwo in diesem Damenstift eine Mörderin hauste.
Roesia gruselte es, als sich just in diesem Augenblick hinter ihr ein Hüsteln vernehmen ließ. Die Eintretende wollte sie beim Gebet offenbar nicht stören, jedoch sachte darauf hinweisen, dass sie gekommen war.
Roesia fuhr herum.
»Ihr wolltet mich sprechen?«, fragte die andere.
»Ja«, sagte Roesia und sah in das Gesicht von Sophias ausdauerndster und unnachgiebigster Feindin, die sie nach dem Gespräch mit Eloïse zu sich bestellt hatte. »Aber nicht hier... lass uns hinausgehen.«
Sie bekreuzigte sich vor der Toten – die andere unterließ es. Wenn Roesia genau bedachte, so hatte sie jene nie inbrünstig und ehrfürchtig bei Gebet oder Messgang erlebt. Lediglich der verstorbenen Königin Isambour war sie in einem Maß ergeben gewesen, das der Götzenverehrung glich.
»Sie glaubt nicht an Christus«, war denn oft das Urteil über jene gesprochen worden, die es als Isambours getreue Begleiterin in dieses Kloster getrieben hatte. »Sie hat sich den Göttern ihrer nordischen Heimat geweiht.«
Es ist doch merkwürdig, dachte Roesia, die andere musternd, dass gerade die beiden, deren Schicksal sich mit dem der verstorbenen Königin am engsten verbunden hatte, einander so ungleich waren.
»Ich habe mir überlegt – will sagen: Sœur Eloïse und ich haben uns überlegt«, setzte Roesia an und fixierte die schmal geschnittenen Augen ihres Gegenübers, »wer Sophia derart gehasst hat, dass er bereit war, sie zu töten... und wer womöglich selbst ihren Nachkommen – und Cathérine war deren einzige – Unheil hatte antun wollen.«
»Und dabei ist dir mein Name eingefallen?«, höhnte die andere und schüttelte spöttisch lachend den Kopf, sodass die grauen Haare sich unter dem Schleier hervorstahlen. Einst in der Jugend waren sie blauschwarz gewesen.
»Ich will dich keines Verbrechens anklagen«, erklärte Roesia rasch. »Nur sag mir eins, Gret, die du aus dem hohen Norden stammst, wo andere Sitten herrschen als hier in Frankreich – hast du Sophia auch aus anderem Grund gehasst als jenem, welcher weit zurückreicht, nämlich in die Tage, da Isambour dem königlichen Gatten angetraut und von jenem verstoßen wurde? Ist es möglich, dass sie in den letzten Lebensjahren, da sie nichts anderes trieb, als an ihrer Chronik zu schreiben, deinen Zorn auf sich vergrößert hat?«
Kapitel VII.
Anno Domini 1193 bis 1199
Das Leben mit Bertrand de Guscelin war leise. Wenige Worte fielen zwischen ihm und Sophia.
Schon in der Hochzeitsnacht erklärte er nicht, warum er auf den Vollzug der Ehe verzichtete, sondern sich ohne jegliche Berührung zur Seite drehte und einschlief. Ratlos, wiewohl zugleich erleichtert lag Sophia bis zum Morgengrauen wach, indessen schnarchende Töne von seiner Seite kamen, das Knarren des Bettes, wenn er sich wendete, und säuerlicher Geruch von seinen schlechten Zähnen. Erst am nächsten Morgen berichtete er etwas zaudernd und mit verlegen gesenktem Blick, dass sie keine gewöhnliche Ehe führen könnten – eine Verwundung, die er als Kreuzritter im Heiligen Land erlitten habe, hätte seine Manneskraft schwer beschädigt.
Mit schlichtem Nicken nahm sie es hin und fühlte sich – nachdem sie all ihre Sinne gegen die erwartete Berührung gewappnet hatte – wie ein viel zu schwer gerüsteter Ritter, der das Ausbleiben einer Schlacht nicht
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