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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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alles Glück madig machen und dein Dasein in ein vermaledeites wenden! Ich weiß nicht, was du dir mit deinem falschen Zeugnis erkauft hast – doch möge es dir niemals den Gewinn erbringen, den du daraus erhofftest! Du Verfluchte, du Verfluchte!«
    Mahnend sprach sie das Letzte aus, ehe ihre Stimme tonlos wurde. Dann drehte sie sich um, um der verstoßenen Isambour zu folgen. Frère Guérin verließ desgleichen das Gemach – der letzte Blick, den er auf Sophias schmerzendes Gesicht warf, war zögernd und unwillig. Sie selbst rieb sich die Wange, wo Grets Hand sie getroffen hatte, und versuchte, ihr Unbehagen, ihre Scham, ihr schlechtes Gewissen herunterzuschlucken.
    Ich darf nicht darüber nachdenken, ging ihr durch den Kopf. Ich werde meine Chronik fortführen, ich werde darin schreiben, dass der König seine Frau nach der Hochzeitsnacht verstoßen hat, denn das weiß alsbald alle Welt. Keinen Satz aber mehr werde ich schreiben. Nichts von meinem Verrat. Nichts von ihrem Geschrei. Nichts von Grets Fluch.
    Ich muss das Unwichtige vom Wichtigen scheiden.
    Aus der Chronik
    Nicht alle nahmen in Frankreich hin, dass der König sein Weib verstoßen wollte.
    Im Dänischen Kolleg von Sainte-Geneviève brach ein wilder Entrüstungssturm los, als die schreckliche Neuigkeit ruchbar wurde; die Studenten weigerten sich zu glauben, dass ihre Prinzessin eine Verfluchte sei, und streikten über lange Wochen.
    Auch die Untertanen waren sich nicht eins. Wo die Bischöfe von Arras, Orléans, Chalons-sur-Marne, Chartres und Tournai und ebenso die Grafen von Champagne, Blois, Dreux und Nevers sich dem Willen Philippes fügten, verweigerte Etienne von Noyon dem König die Gefolgschaft und gebärdete sich als Isambours Fürsprecher.
    In ihrem Namen schrieb er an den dänischen König, um das Unrecht zu beklagen, und dieser wiederum verlangte von König Philippe Klärung.
    Im Oktober ritt jener ins Kloster von Saint-Maur-des-Fossées, wo Isambour bislang in einer engen, streng abgeschirmten Zelle hockte und diese auch nicht zur täglichen Messe verlassen durfte. Es hieß, dass er auf sie eingeredet hätte, damit sie freiwillig auf die Königinnenwürde verzichte. Auch machte der König ihr das Angebot, sie könne in Frankreich bleiben und dort ein annehmliches Leben führen – wenn sie nur der Annullierung ihrer Ehe zustimmte.
    Isambour selbst sagte dazu nichts – die Nonnen des Klosters meinten, sie trotzte mit Schweigen gegen die schwere Sünde, eine von Gott geschlossene Ehe zu lösen, und bewunderten die Frömmigkeit.
    Etienne de Noyon hingegen bekundete lautstark die Weigerung, der Annullierung zuzustimmen.
    Einen Monat später wurde das Verfahren im Schloss von Compiègne angesetzt, wo die französischen Bischöfe zugegen sein sollten, um die Gültigkeit der Ehe zu erklären oder zu widerrufen. Kaum ein Zweifel bestand, dass die Mehrheit sich nach dem Willen des Königs richten würde. Zur Behauptung, dass die Ehe nie vollzogen worden und Isambour verhext sei, fügte sich der Vorwurf, sie sei mit Philippes erster Frau Isabelle von Hennegau entfernt verwandt. Dies alleine mache die Ehe ungültig.
    Schon vor dem Ehegericht bedachte man die Zukunft der baldig endgültig Verstoßenen. Da das Kloster von Saint-Maur-des-Fossées dauerhaft zu klein wäre, wurde ihre Verbannung zu den Augustinerinnen zu Cysoing bestimmt.
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
    Roesia saß in der Kapelle neben der aufgebahrten Cathérine. Sie hatte die anderen Nonnen fortgeschickt, auf dass sie allein mit ihr wäre, und jene wollten der Bitte gerne folgen – gewiss, dass die Mutter Äbtissin am besten von ihnen allen Fürsprache für die Arme Seele halten konnte.
    Wenn sie nur wüssten, ging Roesia durch den Kopf, indessen sich die Schwestern eilig erhoben, ehrfürchtig eine letzte Kniebeuge machten und nach draußen entschwanden, auf dass sie dort den Todesfall nicht länger mit frommen und leisen, sondern mit aufgeregten und lauten Worten besprechen konnten. Wenn sie nur wüssten...
    Roesia stand im Rufe, fromm zu sein, viel gottgefälliger auch als ihre Vorgängerin, die seinerzeit einzig aufgrund ihrer weit verzweigten Verwandtschaft mit dem König in dieses Amt gewählt worden war. Auch Roesia selbst vertrat zumeist die Auffassung, dass Gott zufrieden mit ihr sein konnte: Sie war niemals gut im Sündigen gewesen – sie befand, dass solches zu viel Aufregung und zu viel Lärm erforderte. Wie wollte sich jemand der Hoffart oder des Zorns schuldig

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