Die Chronistin
ein unbekanntes Wort immer wieder, »Shabriri, Shabriri...«
Beschwörerisch und gurgelnd fuhr die Stimme fort: »Shabriri, briri, rir, iri, ir...«, und wieder: »Shabriri, briri, rir, iri, ir...«
Sophia hatte sich dem Zeitvertreib ihres Gatten nicht widmen wollen; nun aber konnte sie sich nicht mehr von der Türe lösen, sondern war von der Neugierde daran festgeklebt. War es tatsächlich Bertrand, der sonst so verschwiegene Gatte, der solches ausstieß? Was aber wollte er damit sagen?
»Shabriri, briri, rir, iri, ir...«
Unbehagen keimte in ihr auf. Ganz offenbar sprach er einen Zauber, und es klang wie Zauber, mit dem man Dämonen beschwor. Vielleicht würde schon bald einer keifend aus dem Zimmer gefahren kommen und das ganze Haus mit einem Fluch belegen. Ihre Haare sträubten sich bei dem Verdacht, einen Magier zum Gatten zu haben – sie, die die schwachsinnige, aber unschuldige Isambour angeklagt hatte, Hexerei zu treiben. Es musste eine besonders bösartige Strafe Gottes sein.
»Shabriri, briri, rir, iri, ir...«
Sie presste das Ohr noch dichter an die Türe. Jene war mit einem dicken, schmiedeeisernen Schloss versperrt, wie sie es noch nie gesehen hatte – beim Kaufmann Arnulf in Lübeck waren die Türen nur mit einfachen hölzernen Riegeln und Schuben gesichert gewesen.
Ob sie es wagen sollte zu klopfen?
Sie kam nicht mehr dazu, eine Entscheidung zu treffen.
Beinahe wäre ihr das Herz stehen geblieben, als plötzlich hinter ihr eine gestrenge Stimme ertönte: »Was treibt Ihr hier? Wie könnt Ihr’s wagen zu lauschen? Von Bertrands geheimer Kammer müsst Ihr Abstand halten!«
Ein grimmiges, schwarzes Auge blickte sie an, wohingegen das zweite unter einer dunklen Klappe verborgen war, die den unheimlichen Eindruck der Frau verstärkte. Sophia zuckte zusammen und erinnerte sich vage daran, dass jene ihr als Isidora vorgestellt worden war. Sie war eine getaufte Sarazenin, die Bertrand aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte, und musste uralt sein, denn Bertrand behauptete, sie habe seinerzeit König Baudouin gepflegt, als jener am Aussatz siechte, und das war viele Jahrzehnte her. Als selbst in Riechwasser getränkte Hemden den grauenhaften Geruch des lebendig Verwesenden nicht mehr zu überlagern vermochten, die Lepra den jungen Körper zur einzigen Wunde zerfressen und der König seinen Geist ausgehaucht hatte, war Isidora dem Haushalt der Montferrats übergeben worden und diente Mélisande, die damals noch ein Mädchen war. So abgöttisch wie Bertrand die Schöne später liebte, war auch Isidora ihr ergeben, zwar nicht von Beginn an, aber seit dem Tage, da Mélisande sie davor bewahrt hatte, von groben Männern geschändet zu werden. Gleiches geschah vielen ihresgleichen, auch wenn die Priester mahnend ihre Stimmen erhoben und den wollüstigen Männern rieten, sich vor den ungläubigen Frauen in Acht zu nehmen und sich lieber – wenn sie denn ihre Wollust nicht im Zaum zu halten vermochten – an christlichen Knaben zu vergreifen. Mélisande schützte die Sarazenin, indem sie sie überredete, sich taufen zu lassen – und Isidora versuchte fortan auch Mélisande zu schützen, was ihr gegen viel Unheil der Welt, aber nicht gegen den unbarmherzigen, frühen Tod gelang.
Seitdem war sie verbittert und zeigte das Sophia, die den Platz der geliebten Herrin so dreist in Anspruch genommen hatte. Gleichwohl sie schwieg, wann immer sie ihr begegnete, geriet der ansonsten so ausdruckslose Blick stechend, kalt und hasserfüllt, kaum fiel er auf Bertrands neue Frau. Argwöhnisch beobachtete sie all ihr Tun und Trachten, um sogleich einzuschreiten, wenn sie denn verbotene Pfade betreten sollte.
Dies nun war heute geschehen, und zum ersten Mal schlich sich ein hitzigeres Gefühl in die gefrorenen Züge der dunklen Sarazenin.
»Nicht! Ihr dürft hier nicht eintreten!«, rief sie.
»Bin ich die Herrin, oder seid es Ihr?«, zischte Sophia, die sich von einer Dienstbotin, und sei es eine besondere, nicht maßregeln lassen wollte.
»Bertrand gefällt es nicht, wenn man seine Experimente stört, das weiß ich gewiss!«, hielt Isidora ihr entgegen.
Sophia dachte an die merkwürdigen Laute, die sie eben noch vernommen hatte.
»Und welche wären das?«, fragte sie und konnte trotz der Verachtung für Isidora ihre Neugierde nicht bremsen.
Die andere geizte mit ihren Worten, bekannte aber doch die Wahrheit.
»Bertrand ist ein gelehrter Mann«, sagte sie schlicht. »Er versucht, das Lebenselixier zu
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