Die Chronistin
sie dieser Schrei, der nicht nur das Klagen einer Schwachsinnigen, sondern einer Verratenen war. Steif wie eine Salzsäule stand Sophia, suchte sich Erleichterung zuzusprechen, dass es nicht länger ihre Pflicht war, auf die erbärmlich Wütende beruhigend einzureden, und fragte sich zugleich, wie groß eine Schuld zählte, wenn sich jene gegen eine richtete, die von Gott nicht mit den üblichen Geistesgaben ausgestattet worden war.
Den französischen Rittern, die der Schreienden Herr zu werden versuchten, um sie ins Kloster von Saint-Maur-des-Fossées zu sperren, war es nicht weniger unbehaglich. Sie hatten gelernt, gegen Männer zu kämpfen – nicht gegen kreischende Frauen.
Fragend waren die Blicke, die sie Sophia zuwarfen, als möge jene ihre Tat bestätigen. Sie zögerte so lange, bis sich Frère Guérin an ihre Seite gesellte, um an des Königs statt zu überwachen, wie die Abgelehnte beiseite geschafft wurde.
Seine Festigkeit lieh ihr eigene.
»Bringt sie nur schnell fort!«, erklärte Sophia mit lauter Stimme. »Seht zu, dass Ihr ihre Nähe meidet! Hört nur, wie sie schreit und geifert, und denkt an die Geschichte vom Heiland, welcher Dämonen ausgetrieben hatte, die sich sodann einer Schweineherde bemächtigten und jene über die Felsen stürzen ließen. Vom gleichen unheiligen Geist ist sie erfüllt! So beeilt Euch doch, sie aus des Königs Nähe zu schaffen!«
Sie hatte laut begonnen, aber ihre Kehle war enger geworden. Es war schwer, etwas gegen Isambours Gekreisch auszurichten.
Die Männer blickten noch immer ratlos.
Da ging Sophia hin, packte Isambour diesmal an den Schultern, rüttelte sie fest. »Ja, schafft sie fort! Vom Bösen ist sie besessen, und wer ihr zu nahe kommt, der bleibt auf ewig verflucht!«
Unmenschlich wurden die Laute. Sie bissen und stachen und schmerzten.
»So schafft sie endlich fort!«, schrie Sophia dagegen an. »Schafft sie fort!«
Sie roch die Furcht, die die Männer ob des befremdlichen Anblicks befiel. Feiglinge, dachte sie, und verstand nicht, warum die Beschämung, die jene ansonsten Mutigen und Tapferen ob ihrer Tatenlosigkeit befallen hatte, auf sie selbst übergriff und sie frösteln ließ, als legte sich ein feuchtes, klammes Laken über ihr Gemüt.
Sie streifte es ab, indem sie Isambour noch fester packte, jedoch nicht, um sie zu schütteln, sondern um sie mit aller Kraft, die sie hatte, zurückzustoßen und quer durch den Raum zu schleudern. Isambour versuchte gar nicht erst, sich festzuhalten, und fiel längs zu Boden, wo sie mit dem Kopf aufschlug. Es war ein dumpfer Laut – hernach aber war es still.
Nun endlich vermochten die Männer zuzupacken, umrundeten sie und zerrten sie hoch. Doch wiewohl nun stumm, hatte Isambour nicht alle ihre Kräfte eingebüßt. Als steckten in ihrem Körper tatsächlich die heraufbeschworenen dämonischen Mächte, gelang es ihr, sich von den drei Männern loszureißen und ein letztes Mal auf Sophia zuzustürzen. Sie klammerte sich an ihren Unterarmen fest und artikulierte gequält »Ragnhild«.
Sophia zuckte zusammen. »So helft mir doch und befreit mich von ihr!«, schrie sie laut, indessen Frère Guérin – von alldem sichtlich überdrüssig gestimmt – gequält den Blick zu Boden warf.
Ganz plötzlich ließ Isambours Hand los. Augenblicklich fiel sie in sich zusammen, als wäre ihr Knochengerüst aus Federn. Ein Leichtes war es nun, sie aufzuheben und hinauszuschaffen.
Doch als das Schlimme endlich ausgestanden war, stürzte Gret in das Zimmer und direkt auf Sophia zu. Es war diesmal nicht die schmaläugige, ehrfürchtige Frau, die ihr begegnete, sondern eine Furie – dem heidnischen Himmel entwichen, um im Namen der Götter das Unerhörte zu rächen.
»Was hast du nur getan, du Verräterin? Was hast du falsches Zeugnis über sie abgelegt? Du warst auserwählt, ihr zur Seite zu stehen und sie durch die Wirrnisse der gefährlichen Welt zu lotsen.«
Sophia duckte sich unbehaglich, aber wehrte sich. »Ich trage weder für ihren Schwachsinn die Schuld, noch dafür, dass man sie dem König zur Frau gab! Oh, wie gut, dass die Männer des Königs sie fortgeschafft haben! Ein jeder wird aufatmen, ist er nur endlich von ihrem verdammten Anblick befreit!«
»Verdammt bist du, nicht sie!«, kreischte Gret, hob die Hand und versetzte ihr eine laut schallende Ohrfeige. »Gott Ingwio, der Isambour seinen Namen gegeben hat, möge dich niemals wieder ruhen lassen! Sein Schatten möge sich dunkel über dein Leben legen, dir
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