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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nur mit Erleichterung quittiert, sondern mit Ärger über die unnütze Vorbereitung. Alsbald gesellte sich Verwunderung hinzu. Denn in einer der späteren Nächte geschah’s, dass er – im Traume grunzend – die Seiten des Bettes wechselte und unverhofft auf ihr zu liegen kam. Erstarrt ließ sie es über sich ergehen und musste so gewahren, dass die Gier seines Geschlechts nicht abgestorben war, so wie er es bekundet hatte, sondern sich alsbald ein fester, harter Druck von diesem in ihrer Magengegend erfühlen ließ. Beinahe vermeinte sie durch den dicken Stoff des Nachthemds die nässende Spitze zu spüren. Da freilich erwachte er schon wieder, murmelte schlaftrunken entschuldigende Worte und wälzte sich eilig zurück auf seine Seite.
    Fortan verlangte er, dass sie in getrennten Gemächern schliefen.
    »Und dies sollt mich nicht erstaunen«, meinte eine der Dienstmägde, deren Geschwätzigkeit Sophia während der ersten Wochen ausnützte, um ihr neues Leben zu erkunden. Später, als sie genügend darüber wusste, zog sie sich freilich von allen zurück, verbat die oberflächlichen Worte und war nicht einmal bereit, sich die Namen des Gesindes zu merken.
    »Denn wisst Ihr es nicht«, war die Magd fortgefahren, »dass sein Leben ganz und gar dem Andenken von Mélisande geweiht ist?«
    Mélisande war Bertrands erste Frau, erfuhr Sophia, und das schönste Mädchen, welches sich bei den christlichen Familien im Heiligen Land hatte finden lassen. Anno Domini 1179 war Bertrand de Guscelin dorthin aufgebrochen – in der Gefolgschaft jener Ritter, die damals anstelle ihres Königs den Eifer Frankreichs für den Heiligen Krieg bekunden sollten – und lebte nach der Eheschließung einige Jahre glücklich in der Nähe von Antiocheia. Doch nach Mélisandes verfrühtem Tode und ob der unermesslichen Trauer um die Schöne drängte es ihn zurück nach Frankreich. Längst war auch der gesuchte Ruhm von den unendlichen Streitigkeiten zwischen den christlichen Heeren vergällt und darum alsbald seine Bitte an König Philippe gerichtet, er möge den so sehr Verzweifelten doch aus dem Heeresdienst entlassen. Diese Gefälligkeit wurde ihm gewährt, doch forderte man nun eine Gegenleistung – die Heirat mit einer Fremden.
    So schweigsam, wie er war, machte Bertrand nicht viele Worte, wie schwer ihm dieses Opfer fiel. Nie sprach er in Sophias Gegenwart von Mélisande – und sie vermied es, danach zu fragen. Schnell lernte sie, dass in Bertrands Haus mehr geschwiegen als geredet wurde, dass sein eigenbrötlerischer Geist, der auf größte Zurückgezogenheit Wert legte, ihr nur zum Nutzen sein konnte und dass sie sich dankbar wähnen sollte, für ihr neues Leben keine weitere Anstrengung in die Waagschale werfen zu müssen als den Verrat an Isambour.
    So wenig wie Bertrand ihr von sich verriet, wollte er wissen, ob es wahr sei, was sie über Isambour behauptete. Selbst über das unangenehme Annullierungsverfahren, das noch kommen sollte, verloren sie beide kein einziges Wort.
    Bis zu jenem Tag im November hatte Sophia nicht an Isambour denken wollen. Dann aber blieb ihr nichts anderes übrig. Die verstoßene Königin war schwarz gekleidet; das weißblonde Haar lugte in dünnen Strähnen unter der schlecht sitzenden Haube hervor. Etienne von Noyon, der sich als einer der wenigen Bischöfe zu ihrem Fürsprecher gemacht hatte und sich nicht dem König beugen wollte, begleitete sie und schließlich Gret, die Sophia aus ihren schmal geschnittenen Augen unverwandt anstarrte.
    Jene senkte ihren Blick und dankte Gott, dass es nicht mehr ihr selbst oblag, die wüsten Anklagen gegen Isambour erneut zu wiederholen. Bertrand tat es, der der seltsamen Zeremonie noch überdrüssiger war als der auferlegten Eheschließung mit ihr. Im Namen seiner Gattin und für diese sprechend beschwor er auch, dass die Ehe von Philippe und Isambour niemals vollzogen worden wäre.
    Es dauerte nicht lange – bald schon waren sich die Bischöfe einig und erklärten die Ehe für nichtig.
    Als Sophia den Saal verließ, ohne sich noch einmal nach Isambour umzudrehen, begegnete sie Frère Guérin. Er musterte sie wie eine Fremde, als hätten sie niemals einen Pakt geschlossen, der ihnen beiden viel ersparte – ihm, vom König zur Verantwortung für das Ehedesaster gezogen zu werden, ihr, wie Isambour im Kloster zu verschwinden.
    »Was denkt Ihr«, fragte Sophia, »wird Papst Coelestin der Annullierung zustimmen?«
    Frère Guérin trat zurück, als würde er mühsam

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