Die Chronistin
entscheiden, ob er mit ihr reden wollte.
»Er wird es tun«, murmelte er schließlich gnädig, »wenngleich zu sagen ist, dass er alt ist... vielleicht zu alt. Hoffentlich müssen wir nicht bald mit einem jungen, tatenkräftigen Nachfolger rechnen, der Frankreich nicht ebenso wohl gesinnt ist...«
Er wandte sich ab.
»Ich habe Euch zu danken«, rief Sophia ihm nach. »Ihr habt mir den rechten Gatten erwählt.«
Wiewohl am Anfang nicht gewiss, was sie von Bertrand zu halten hatte, war sie längst überzeugt, dass sie es übler hätte treffen können. Neben der reichen Mitgift des Königs würde auch die Morgengabe des Gatten im Falle von dessen Tod ein gutes Auskommen schaffen. Außerdem stellte er keine Forderung an sie; er lebte ruhig und doch behaglich; und er galt als einer der gebildetsten Männer von Paris. Man erzählte sich, dass er vom Heiligen Land viele Schriften der dortigen Gelehrten – selbst der heidnischen – mitgebracht hätte, um seine private Bibliothek zu füllen.
Frère Guérin nickte ungeduldig. »Lebt wohl«, erklärte er so gleichgültig, als hätte er sich nie hinreißen lassen, in ihrer Gegenwart seinen geheimen Hass auf den König zu verraten. »Nun, da diese leidige Sache ausgestanden ist, wird sich kein Anlass finden, dass wir uns wiedersehen müssen.«
Sophia schlich durch das Haus ihres Gatten.
Bertrand de Guscelin lebte am Rive-droite, wo zuhause war, wer Rang und Geld besaß. Sein Haus lag an der Seine und gleich neben dem des Erzbischofs von Sens, welcher oft in die Hauptstadt kam, um den Bischof von Paris mit seiner Anwesenheit zu quälen: Jener war zwar der oberste Hirte einer Hauptstadt, aber zugleich auch eines Ortes, der noch nicht zum Erzbistum erhoben worden war.
Suchend durchstreifte Sophia nun die weitläufigen Gänge. In den ersten Wochen ihrer Ehe hatte sie niemals ihr Trachten benannt, in Bertrands vielen Büchern und Schriften zu lesen oder sein Schreibwerkzeug zu gebrauchen. Nun entschied sie, nicht länger untätig zu verharren, desgleichen aber auch, dass sie ihn um Zugang gar nicht erst bitten wollte. Dass solcher ihr zustünde, war sie sicher – es war Teil des Pakts, den sie mit Frère Guérin geschlossen hatte.
Der untere Stock des Hauses war schnell erforscht. Einen eigenen Raum gab es nur für Malereien, ergänzt durch schöne Worte, die man auf die Wand geschrieben hatte und die alte Weisheiten verkündeten. Daneben befand sich ein Spielzimmer, wo sich Bertrand mit seinen Gästen – selten genug empfing er welche – mit Trictrac und Dames vergnügte. Noch einen Raum weiter – es besaß dieser Wandverkleidungen aus Holz und Eisen – befand sich das Lesezimmer mit einem gar sonderlichen Möbelstück, wie es Sophia noch nie erblickt hatte: ein Stuhl, an dem man ein bewegliches Lesepult befestigt hatte, das man nach Lust und Laune so verschieben konnte, wie es dem jeweils Sitzenden am förderlichsten war. Bequem mochte man sich auf die weiche Lehne zurücksinken lassen, indessen man las.
Sophia bestaunte ihn, aber hielt sich nicht lange damit auf – zuförderst wollte sie etwas zu lesen haben und nicht etwa die Möglichkeit, sich behaglich einzurichten.
Sie schritt in das Obergeschoß, wo sie zuerst auf die weiträumige Küche mit großem gemauerten Herd traf. Neben den Küchenwerkzeugen, die sie kannte – Bottiche und Kupferkessel, Töpfe und Schieber, Schürstangen und Zangen –, gab es hier einen mächtigen Holzblock zum Fleischschneiden und -klopfen zu bestaunen, des weiteren edle Mörser aus Bronze und Messing.
Ihr Interesse währte freilich nicht lang. Über eine Wendeltreppe ging es einen weiteren Stock nach oben, dessen niedriger, dunkler Gang sich in viele Zimmer verzweigte. In eines – das wusste sie – zog sich Bertrand für gewöhnlich ganze Tage lang zurück. Nie hatte sie gefragt, was er dort trieb, sich vielmehr sicher gewähnt, dass er sich mit Gleichem beschäftigte, wie seinerzeit es Arnulf tat: mit der Verwaltung seines Vermögens – und vielleicht sogar mit der Übersetzung der Schriften, die er aus dem Heiligen Land mitgenommen hatte.
Sophia wollte ihn gewiss nicht dabei stören, sondern endlich die Bibliothek finden.
Als sie aber am Raum vorbeischlich, in dem Bertrand hockte, so erklangen daraus ganz absonderliche Laute, so düster knurrend und unheimlich säuselnd, dass sie der Kehle eines Tieres zu entstammen schienen. Unmöglich konnten sie ihm entfahren – oder doch?
Sophia lauschte.
»Shabriri«, vernahm sie
Weitere Kostenlose Bücher