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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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– selbst als Isambour im Sterben lag. Es verhält sich jedoch so, dass auch ein heidnisches Weib wie ich Barmherzigkeit kennt. Zum einen – was sollte ich Sophia länger zürnen, wo die Götter sie doch selbst bestraften, ganz so, wie ich es ihr damals wünschte? Zum anderen – ich habe wohl gesehen, welche Dienste sie der Königin in den letzten Jahren leistete.«
    Sie atmete heftig in die kalte Luft. Wie in der Jugend sprach sie ungeheuer schnell, manche Silbe verschluckend, ehe sie die nächste nannte. »Ich muss dich also enttäuschen, gute Roesia«, fuhr sie trotzig fort, »ich habe Sophia nicht ermordet – und Cathérine schon gar nicht. Warum sollte ich? Ich befand stets, das arme Mädchen hätte genug unter der Mutter zu leiden. Und jene unglückselige Geschichte mit Théodore de Guscelin...«
    Gret schüttelte bedauernd, aber ohne Mitleid den Kopf.
    »Ich habe dich nicht ernsthaft verdächtigt – ich wollte nur...«, setzte die Äbtissin an.
    »Spar’s dir! Ich weiß, dass du mir nicht traust, Roesia. Keinem Menschen der Welt traust du. So wenig wie irgend möglich willst du mit ihnen zu tun haben – warum sonst bist du in dieses Damenstift geflohen, obgleich deiner Zähigkeit zuzutrauen gewesen wäre, die Grafschaft da oben im Norden auch ohne Ehemann zu beherrschen?«
    Roesia hob unwirsch die Hände – die andere allein dafür verachtend, dass sie sie stets mit dem Namen ansprach anstatt mit der üblichen Anrede »Ehrwürdige Mutter«.
    »Du weißt doch nichts vom Leben und den Sitten hier. Ohne Ehemann wäre ich verloren gewesen – allein, ich wollte mir keinen vierten ins Bett legen lassen. Warum auch, hier bin ich glücklich!«
    »Gewiss«, sprach Gret mit leisem Spott, »das sagt dir dein Verstand, die kühle Berechnung. Du betrachtest die Welt nüchtern, und dort, wo’s dir nicht erlaubt ist, weil die Welt eben eine irrsinnige ist, so stiehlst du dich fort, sei’s in leere Träume oder in ein langweiliges Stift.«
    »Was maßt du dir an, ein Urteil über mein Leben zu finden?«
    »Ach, was geht mich dein Leben an, Roesia?«, entgegnete Gret unwirsch, und anstatt still zu stehen, begann sie langsam, aber mit festem Schritte auf und ab zu gehen. Roesia folgte ihr mit misstrauischem Blick. »Nein«, beantwortete Gret an ihrer statt die eigene Frage. »Dein Leben geht mich nichts an. Allein, was mich stets wundern machte, war dein Trachten, in Sophia eine Verbündete zu sehen. Aller Welt erklärtest du, sie sei eine, die dir gliche... Jedoch bei allem, was ich über dich weiß – und über sie – , kann ich nur sagen: Das war sie nicht. Sophia war gänzlich anders, als du meintest.«
    Roesia lachte höhnisch auf, um zu zeigen, dass sie die andere nicht ernst nehmen wollte.
    Gret aber fuhr ungerührt fort: »Doch, so ist es. Ich werde dir etwas über sie verraten, wovor du stets deinen Blick verschlossen hast.«

Kapitel VIII.
Anno Domini 1199 – 1200
    Nicolas de Vitry, einer ihrer Nachbarn und Besitzer der Schreibwerkstatt, wo sich gutes Pergament und Tinte kaufen ließen, hatte Magister Jean-Albert gefunden und hielt ihm jetzt den verwundeten Kopf.
    »Meiner Seel’!«, stöhnte er und suchte zu vermeiden, dass das Blut über seine Finger rann. »Es kam ein Bote geritten – so schnell, als wäre ihm der Teufel auf den Fersen. Er trug die Farben des Königs, ich könnte schwören, er wollte zu ihm... Ich kann nicht begreifen, wie man durch diese vollen Straßen wie ein Wahnsinniger reitet – mag die Nachricht auch noch so dringend sein...«
    »Und wie kam Magister Jean-Albert unter die Hufe?«, fragte Sophia.
    Sie war die Erste, die die Worte wiederfand, nachdem alle zur Unglücksstelle gelaufen gekommen waren. Théodore stand mit blassem Gesicht, Isidora starrte finster mit ihrem einen Auge, und selbst Bertrand, der jeden Anlass mied, auf die Straße zu treten, hatte seine geheime Kammer verlassen. Unbehaglich betrachtete er den Verletzten.
    »Es ging zu schnell, als dass ich’s genau beschreiben könnte!«, erklärte Nicolas de Vitry mit zittriger Stimme. »Es mag auch sein, dass sich Magister Jean-Albert nicht genügend umsah. Das Pferd streifte ihn, er kam zu Fall; der Kopf schlug auf einen Pflasterstein auf, und zu allem Unheil hat ihn obendrein ein Huf getroffen... Ich sag’s nicht gerne, aber der da ist hinüber. Da ist keine Rettung mehr, holt einen Priester!«
    Das Blut, das aus der Stirnwunde trat, hatte beinahe das ganze Gesicht des Magisters bedeckt und floss in den

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