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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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geöffneten Mund, woraus weiteres entströmte. Voll Ekel schob Nicolas den Kopf des Verletzten schließlich von seinem Schoß auf die Straße – und bei seinem Anblick war auch Sophia kurz verleitet, sich umzudrehen und den Unglücklichen seinem Schicksal zu übergeben.
    »Bitte!«, hörte sie Théodore da verzagt in ihre Richtung murmeln. »Bitte! Niemanden gibt es, der weise ist wie Ihr – Ihr müsst ihm helfen!«
    Nicht ohne Stolz vernahm Sophia die Anerkennung – mochte sie auch nur einem kindlichen Mund entstammen. Bertrand jedoch, der nie auf die Idee gekommen wäre, dass der Sohn, den er kaum kannte, das Weib meinte, das ihm noch fremder war, münzte die Worte auf sich.
    Hastig schlug er ein Kreuzzeichen. »Man sollte ihn mit Weihwasser besprengen«, schlug er mit angewiderter Stimme vor. »Und ihm desgleichen eine Hostie auflegen. Es wäre auch nicht schlecht, den Prolog des Johannesevangeliums zu zitieren, denn allein die Nennung des Namens Gottes mag einen Menschen heilen.«
    Selbst Isidora, die gegen Magie gewiss nichts einzuwenden hatte, verzog finster ihr Gesicht ob jenes wenig hilfreichen Ratschlags. Nicolas de Vitry schüttelte bekümmert den Kopf.
    »Ob das alleine...«
    »Hach!«, machte Sophia ungeduldig. »Steht nicht herum! Holt ein Brett und starke Männer!«
    Verwundert streifte sie Bertrands Blick.
    »Ja!«, bestätigte Sophia fest und konnte sich zumindest Théodores Bewunderung sicher sein. »Man soll den Armen ins Haus schaffen und auf einen Tisch legen, damit ich ihn untersuchen kann! Dann wird sich zeigen, ob ihm noch zu helfen ist...«
    Eine Woche lang war sie nicht sicher, ob sie Magister Jean-Albert würde retten können.
    Sie wagte eine Operation, über die sie gelesen hatte – und die doch ebenso riskant wie unerforscht war. Ganz gleich, ob es die Gelehrten der Antike oder solche aus Arabien waren – alle beschrieben den Kopf als jenen Teil des menschlichen Körpers, der am verwundbarsten und sensibelsten war. Schwer nur wäre einer zu retten, der hier eine Wunde davongetragen habe – vor allem eine solche, die die Knochen zum Bersten gebracht hatte.
    Gottlob lag ihr so wenig an dem Mann, dass ihre Hände in keinster Weise zitterten, während sie strikt befolgte, was sie in einem Buch gelesen hatte, und sich die Gabe zunutze machen konnte, jedes einzelne geschriebene Wort im Gedächtnis abzulesen.
    Vorsichtig reinigte sie zunächst das blutige Gesicht und schnitt dem Verletzten dann die Haare ab. Sie verlangte nach einem Messer, welches zuvor in heißem Wasser zu liegen hatte, um hernach den Schnitt der Wunde etwas zu vergrößern. Wie die Schriften ihr verraten hatten, war jene Haut, die unter der des Kopfes lag und das Gehirn schützte, hart. Ohne Schwierigkeiten konnte sie dazwischen eine Binde aus weichem, in weißen Wein getauchtes Leinen schieben, die das Blut aufsaugte und ebenso den Eiter, der sich während der nächsten Tage stets aufs Neue bildete. Danach konnte sie vorerst nichts weiter für ihn tun, als seinen Kopf an einem Holzgerüst festzubinden, auf dass Jean-Albert sich nicht zu rühren vermochte. Nach zwei Tagen schließlich, als kein neuer Eiter mehr aus der Wunde trat, reinigte sie sie mit Wasser, in dem sie zuvor Schafgarbe und Holunder hatte aufkochen lassen, und nähte sie, indem sie die Ränder mit den Fingern fest zusammendrückte und zuerst durch den unteren dann durch den oberen Rand stach.
    Erneut nützte sie Leinen, die Wunde zu verbinden, und tauchte es zuvor in das flüssige Weiße von fünf rohen Eiern.
    »Mehr kann ich nicht tun«, blieb ihr zu sagen, und sie sank müde neben dem Bette des Kranken nieder. Théodore war kaum von ihrer Seite gewichen. Stumm und weiß im Gesicht hatte er jeden Handgriff verfolgt. Gleiches tat Isidora, wenngleich nicht mit seinem Respekt, sondern mit Misstrauen, als sei von Sophia zu erwarten, dass sie dem Verletzten noch mehr schadete.
    Bertrand schließlich ließ sich erst wieder blicken, als Magister Jean-Albert nach sieben Tagen die Augen aufschlug und sichtlich unverständig in die Welt lugte. Wiewohl er so lange leise verblieben war, ward nun der Auftritt ihres Gatten laut und ärgerlich.
    Er packte Sophia, die eben von einem kurzen Schlummer erwacht war, an ihrem Arm, zerrte sie – nicht nur in Gegenwart des Kranken, sondern auch von Théodore und Isidora – hoch und zeigte mehr Kraft, als sie je in ihm hätte vermuten wollen.
    »Soll es etwa so sein«, schrie er und dankte ihr keineswegs die Heilung des

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