Die Chronistin
zu können. Deswegen bin ich dem Tölpel um einiges voraus, der mich da dreist anklagt, noch ehe er weiß, dass ich ihm sein Leben rettete – und gewiss auch den Ärzten, welche Eure Gattin nicht zu heilen wussten. Es ist mein Trachten, es nicht bei diesem Vorsprung zu belassen, sondern ihn weiter auszubauen. Ich will die Größte aller Gelehrten sein – und ich habe das Talent dazu!«
Théodore duckte sich ängstlich vor dem Vater, der in seinem Leben bislang kaum vorhanden gewesen und den er noch nie hatte wüten sehen. Ohnmächtig schritt Bertrand auf Sophia zu und schüttelte sie, bis der Kopf ihr flog.
»Die Schrift ist nicht fürs Weib bestimmt! Das ist Teufelsgabe!«
»Ha!«, lachte Sophia und war über den altbekannten Vorwurf so gekränkt, dass sie nichts anderes tun konnte, als es ihm heimzuzahlen. »Das wagt Ihr mir vorzuhalten? Wer versucht denn, den Dämon Shabriri mit bloßen Worten auszulöschen? Wer sitzt denn in seiner Kammer und erprobt, das Lebenselixier zu brauen? Ich kann’s mir nicht recht vorstellen, dass Euch das jemals gelingen wird. Dafür brauchte man kühle Berechnung und klaren Verstand – die Trauer hingegen, die Ihr um Mélisande leidet, ist ein schlechter Berater!«
Er schüttelte sie noch heftiger. »Nimm ihren Namen nicht in den Mund! Das steht dir nicht zu!«
»Warum nicht?«, gab sie zurück und vermochte immer noch nicht, dem Walten der gedankenlosen Wut Einhalt zu gebieten – ganz gleich, welche Folgen sie damit heraufbeschwören würde. »Bin ich nicht Eure Gattin? Oh ja, gewiss, Ihr wagt ja nicht, mich anzufassen, seid wie ein Fremder neben mir im Bette gelegen und habt mich schließlich aus Eurem Schlafgemach verbannt. Und dennoch habt Ihr nicht gewagt, zum Wunsch des Königs Nein zu sagen, als er diese Heirat verlangte. Freilich – so heilig kann Euch Mélisandes Andenken nicht sein, wenn Ihr Euch so schnell fügtet.«
Kurz presste er sie an sich – und strafte damit ihre hitzigen Worte Lüge. Hart drückte sich sein Geschlecht gegen ihren Leib, bezeugend, dass Erregung, Zorn und Lust eng beieinander liegen. Als sie triumphierend keuchte, stieß er sie hart zurück.
»Ich bin des Königs Bitte gefolgt – das wohl«, erklärte er mit giftiger Stimme, »und so bist du mein Weib geworden. Als solches aber unterliegst du meinem Willen und meinen Befehlen. Ich will nicht, dass du die Bibliothek dieses Hauses noch ein einziges Mal betrittst. Ich will nicht, dass du Kranke heilst und dich solcherart wichtiger machst, als es einem Weibe zusteht. Ich will, dass du dich des Haushalts annimmst, wie’s einer guten Gattin steht. Und handelst du dem zuwider – so werde ich dich auf ewig in das dunkelste aller Gemächer sperren!«
Sophia hastete durch Paris.
Kreisrund war die Stadt, die zweihundert Mal tausend Einwohner zählte und eine der größten der Christenheit war. Das Zentrum war auf der Insel zwischen beiden Armen der Seine gelegen; rechts und links am Ufer reihten sich Siedlungen, die von einer Burgmauer umschlossen waren – jene um etliches höher als ein großgewachsener Mann. Untertags waren die vielen Tore offen – und durch jene strömten Menschen in die Stadt, die viel enger besiedelt war, als Sophia es von Lübeck kannte.
Kaum hatte sie bislang Bertrands Haus verlassen, um die neue Heimat zu erforschen. Auch heute zollte sie ihr wenig Interesse, als sie in Begleitung eines dümmlichen Dienstboten, der ihr den Weg weisen sollte, die Straßen durchlief. Ihr Gemüt war von tiefem Zorn erfüllt, der weiter reichte als nur bis zum Ärger über den Dreck, in dem ihre Füße versanken. (Einzig die großen Kreuzungen zwischen der Rue Saint-Denis und der Rue Saint-Jacques und ein kleines Stückchen Weg vor Bertrands Haus waren gepflastert, weil in der Nähe König Philippe selbst eines Tag im Schlamm stecken geblieben war und hernach den Bau einer ordentlichen Straße angeordnet hatte.)
»Sagt mir, ma Dame«, klagte der Dienstbote schnaufend, »ich kann mir nicht vorstellen, dass Euch der König empfängt.«
»Ei gewiss nicht!«, gab Sophia störrisch zurück. »Wenn ich mich von dir zur königlichen Burg auf der Ile-de-la-Cité weisen lasse, so nicht, weil ich den König sprechen will. Ein anderer soll mir Beistand leisten.«
Sie drängte sich wütend durch eine Horde zusammenstehender Handwerker, die grölten und ihr unflätige Worte nachriefen. Wie konnten die Pariser diese Enge nur ertragen!
In den Häusern sah es nicht anders aus als auf der Straße:
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