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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Kind. Das Einzige, was in seinem Antlitz an Bertrand erinnerte, waren dessen himmelblaue Augen. Die langen Wimpern, die diese umkränzten, das daunenweiche, schwarze Haar und schließlich eine Haut so weiß wie Milch ähnelten hingegen der schönen Mélisande, die ihn geboren hatte.
    Diese Geburt war nicht einfach gewesen.
    Théodore, so erfuhr Sophia später, habe sich allzu lange im Leib der Mutter festgebissen. Drei Tage quälte sie sich mit Wehen, doch aus ihrer Scham kam kein Kindskopf gepresst, sondern nur Blut. Als ihr Schreien dem Jaulen eines Hundes glich, griff Isidora ein. Bis dahin hatte man sie vom Gebärstuhl ferngehalten, denn Bertrand vertraute den Händen der französischen Ärzte mehr als einer Sarazenin, mochte diese nun getauft sein oder nicht. Zu wenig hatte er bedacht, dass diese Ärzte zwar darin geschult waren, Verwundete notdürftig zu verbinden und hilflos zuzusehen, wie sie am Wundbrand verreckten, nicht aber einer Gebärenden beizustehen.
    Isidora hingegen rieb den Bauch der ächzenden Frau mit einer sämigen Flüssigkeit ein, sprach fremd klingende Zauberworte und stöberte hernach so lange im Leib, bis die Glieder des Kindes richtig geordnet waren. Bertrand stand und starrte – und begann von diesem Tag an Interesse an der Zauberkunst zu hegen. Mélisande aber brachte einen Knaben zur Welt, ohne daran zu sterben.
    Das Kind überlebte auch – gleichwohl mit einem Mal. Sein rechter Fuß war kürzer als der andere, weshalb er nie aufrecht, sondern stets hinkend zu gehen hatte und sein Leib schmächtig, schwach und klein blieb.
    Das Schwert, das er eben in Händen hielt, war beinahe so groß wie er. Dennoch versuchte er es zu schwingen und schrie ein um das andere Mal: »Ich will Ritter werden! Ich will Ritter werden!«
    »Lieber Himmel!«, rief Sophia ungeduldig und gestört den starr stehenden Dienstleuten zu. »Nehmt dem dummen Kind endlich das Schwert weg! Es wird es sich noch selbst in den Leib rammen.«
    Die Pagen glotzten, eine der Frauen jedoch wandte sich ihr zu. Es stellte sich heraus, dass sie Théodores ehemalige Amme war. »Er ist der Sohn des Herrn«, murmelte sie ängstlich, »und auch wenn jener sich bislang sehr wenig um ihn scherte, so müssen wir ihm doch den eigenen Willen lassen. Es liegt nicht an uns, sondern an ihm, ihn zurechtzuweisen.«
    »Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass niemand gedenkt, das Kind zu erziehen?«, fragte Sophia forsch – und nicht die Aussicht, dass Théodore sich selbst verletzten könnte, schreckte sie, sondern der Lärm, den er womöglich auf lange Zeit in das bislang friedliche Haus bringen könnte.
    »Er ist ein armer Junge!«, klagte die Amme. »Die schöne Mutter ist tot. Der Vater will ihn seitdem nicht mehr anschauen, weil sein Antlitz zu schmerzhaft an das von Mélisande gemahnt. Und seine Tante Adeline, bei der er bislang lebte, war ihren eigenen Söhnen stets zugeneigter als ihm.«
    Was mich nicht wundert, dachte Sophia, als sie auf den Knaben blickte, der stark sein wollte, aber kränklich wirkte. Seine Augen irrten herum, als suchten sie jemanden, der seine Worte bestätigte, und spuckten dabei so viel Verzweiflung aus, dass Sophia sich an jene Zeit erinnerte, da man ihr selbst das innigste Trachten – nämlich das Lesen und Schreiben – verboten hatte.
    Bedrohlich nah senkte sich das schwere Schwert über Théodores blasses Gesicht. Immer noch wollte keiner eingreifen.
    Da trat Sophia vor, packte das Kind so fest an der Schulter wie einst Isambour von Dänemark und griff blitzschnell nach dem Schwert, um es ihm zu entwinden.
    »Hör auf zu schreien, dummes Kind!«, sprach sie ungehalten auf den Knaben ein. »Und hör mir endlich zu! Ich habe gesagt, dass du niemals ein Ritter wirst. Deine Gestalt ist zu schmächtig, und mit diesem jämmerlichen Bein vermagst du nicht mehr als zu hinken. Denkst du, eine Kreatur wie du ist zum Kämpfen auserwählt? Ha! Dein alsbald gefällter Leib würde nur die Pferde behindern, die darüber steigen müssten.«
    Die blauen Augen weiteten sich überrascht. Niemals hatte der Knabe eine Stimme gehört, die so streng und unerbittlich auf ihn einsprach. Anstatt sich dagegen aufzulehnen, brachte ihn das Unerhörte zum Zittern. Er stolperte über den verkrüppelten Fuß, fiel zu Boden und fing dort bitterlich zu heulen an.
    »Aber was soll ich sonst werden?«
    »Tränen sind nutzlos. Hör auf zu heulen!«, schimpfte Sophia, packte ein zweites Mal zu und richtete ihn wieder auf. »Nein, Ritter wirst du

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