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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Kranken, »dass du zu jener Schar an Heilem zählst, welche allesamt verflucht sein mögen?«
    Sie hatte ihm solchen Ausbruch seines Temperaments nicht zugetraut.
    Jetzt traf er sie im falschen Augenblick – da sie von der langen Heilungsprozedur noch müde und erschöpft war.
    »Wollt Ihr mir vorwerfen, dass ich ihn gesund gepflegt habe?«, erwiderte sie schnippisch. »Hätte ich lieber Euch gewähren lassen sollen, wie Ihr nutzlos Euer Kreuzzeichen schlüget?«
    »Schweig!«, fuhr er sie an. »Weißt du nicht, wer ich bin? Ich bin dabei, ein Mittel zu finden gegen den scheußlichen Tod und...«
    »Mir scheint’s aber, davon seid Ihr noch weit entfernt. Und ebenso scheint’s mir, dass Ihr zu wenig Ahnung davon habt, wer ich bin. Wenn jener Tölpel hier gestorben wäre, so scherte es mich wenig. Und doch: Da es geboten war, mich in der Wissenschaft der Medizin zu beweisen, so tat ich es... und wie ich finde, ganz meisterhaft.«
    »Und warum«, durchbrach er ihre Rede, und sein rötliches Gesicht wurde nass von Schweißtropfen, »hat jene Wissenschaft nicht gereicht, auch meine schöne Mélisande zu retten? Nichts könnte man gegen das Unheil machen, welches ihren Körper verzehrte, haben die Quacksalber gemeint und sind hernach eilig von ihr gegangen. Sie flohen vor den giftigen Dämpfen, welche von ihrem Körper strömten und jenen zerfraßen. Ich bin bei ihr geblieben, und ich habe sie verflucht, diese Feiglinge, diese Memmen...«
    »Mein Herr, ich bitte Euch«, sprach Isidora rasselnd auf ihn ein – als Einzige, die seinen Schmerz verstand, jedoch der Meinung war, er dürfte nicht zerredet werden.
    Sophia erlaubte ihr nicht, für Beruhigung zu sorgen. »Bertrand de Guscelin!«, sprach sie ihn trotzig mit dem Namen an. »Was Ihr von heilkundigen Männern haltet, geht mich nichts an. Freilich wundert’s mich, dass Eure Bibliothek dann einzig mit Büchern über Medizin gefüllt ist.«
    »Wie kommst du dazu, dort zu wühlen!«, rief er. »Ach, besser wär’s, ich hätte alles davon vor langer Zeit verbrannt. Am Anfang hoffte ich, ich würde solcherart ein Mittel finden, MélisandesTod...«
    »Sei’s darum!«, unterbrach Sophia ihn so unwirsch wie er vormals sie. »Im Übrigen erwärmt mich solche Wissenschaft mehr, die mit kranken Leibern nichts zu schaffen hat – ich spreche von der Philosophie und Theologie. Einzig weil davon nur so wenig vorhanden war, habe ich gelernt, wie sich unser Magister Jean-Albert retten ließ. So ist es denn vollbracht, und ganz offensichtlich bin ich die Einzige in diesem Haus, die solches vermocht hat.«
    Bertrand starrte sie verwirrt an, als sähe er sie zum ersten Mal und bemerke erst jetzt, dass er nach Mélisande ein zweites Mal geheiratet hatte. Ein stiller Schatten hatte sie ihn gedeucht – nicht ein zänkisches Weib, das ein Recht auf einen eigenen Willen bekundete. Dass sie dieses bislang im Stillen durchgesetzt hatte, mochte geduldet sein, solange er selbst in seiner Kammer nicht gestört war – jetzt aber, da sie ihn im Beisein aller anderen zurechtwies, war sein Stolz gekränkt.
    »Du wagst es...«, setzte er an.
    Théodores piepsende Stimme unterbrach ihn. »Sie hat alle Bücher gelesen, die es hier in diesem Hause gibt – und alle, die Magister Jean-Albert mitbrachte. Sie kann von jedem im Genauen sagen, was darin steht. Seitenweise kann sie auswendig daraus zitieren.«
    Die Anerkennung, die das Kind ihr zollte, verwehrte ein anderer. Als gäbe es der Stimmen nicht genug, die aufgeregt durcheinander schwatzten, tönte nun auch eine, von der man es am wenigsten erwartet hätte. Magister Jean-Albert, gerade eben aus langer Ohnmacht erwacht, nützte die ersten Worte, um der Retterin eins auszuwischen.
    »Ich fragte mich stets«, erbrachte er stöhnend vom Krankenbett her den Beweis, dass er seinen mageren Verstand nicht eingebüßt hatte, »warum Ihr Eurem Weibe dies gestattet. Wir wissen doch vom Heiligen Augustinus, dass dies Geschlecht ein minderwertiges ist und einzig tauglich, dem Mann zu dienen – nicht aber, Bücher auswendig zu lernen.«
    Verwirrt starrte Bertrand von einem zum anderen, ehe er noch röter anlief und schreiend die Frage stellte: »Ist das wahr?«
    »Wenn Ihr zu wissen wünscht, ob ich gelehrter sei als jener, der da liegt«, antwortete Sophia kühl, »so sage ich gerne: ja – und das galt schon zu Zeiten, da sein Kopf noch nicht von einem Huf zerquetscht worden ist. Ich besitze die Gabe, alles, was ich einmal las, auf ewige Zeiten memorieren

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