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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Nicht nur, dass der Gatte an der Seite seines Weibes schlief und im Bett daneben die Kinder oder die gichtigen, spuckenden Alten. Nein, auch die Lehrlinge, die gleichen Broterwerb zu lernen hatten wie ihre Herren, die Diener, die Compagnons, die ledigen Meister hatten ihre Betten in der gleichen Stube. Es ging das Gerücht, wonach in der Nähe der Porte Saint-Honoré eines Tages der Geselle des Schusters dessen Weib geschwängert habe, weil er im Dunkel der Nacht nicht den richtigen Leib fand, den zu begatten er begehrte – nämlich den von des Schusters Tochter. Jener galt hernach als doppelt beschämter – war er doch der Vater einer Tochter ohne Scham und Ehre und musste obendrein noch Hörner tragen.
    »Wie aber nun«, fragte der Dienstbote schnaufend, als sie endlich die Seine überschritten und das graugrüne Wasser einen kühlen Luftzug auf die Brücke schickte, »wollt Ihr erreichen, dass Ihr überhaupt in den königlichen Palast vorgelassen werdet?«
    Sophia hatte das noch nicht bedacht.
    Bertrands Zurechtweisung hatte sie von seinem Haus fortgetrieben, noch ehe er seine Warnung wahr machen konnte, sie in eine finstere Kammer zu sperren, und sie zum einzigen Menschen gedrängt, von dem sie in der fremden Stadt verlangen konnte, für sie einzutreten.
    Erst jetzt ging ihr durch den Sinn, dass jener sie nicht freudig erwarten würde. An seiner Stelle würden gewiss Horden von finsteren Rittern warten – vor den Toren des Palastes dazu abgestellt, den König und seine Familie zu bewachen.
    »Es macht mich gar wundern«, hörte sie jedoch eben den Diener sagen, als sie dem Ziele nahe kamen, »wie leer es hier ist. Beim letzten Mal, als ich an diesen Platz kam – und das ist lange her, denn Bertrand de Guscelin scheut die Besuche an des Königs Hof –, war alles voll und laut. Jetzt aber scheint mir, alles wäre ausgestorben.«
    Er duckte sich und überließ es Sophia, vor der grauen, steinernen Mauer und dem verschlossenen Tor auf und ab zu wandern.
    »Mag sein, dass alle ausgezogen sind, um gegen Richard von England zu kämpfen, wie’s die letzten Jahre fortüber geschah«, bemerkte Sophia bitter, doch die Ruhe war ihr selbst nicht geheuer. Wenn schon König Philippe nicht in Paris zugegen war – wo waren dann die Frau, die er nach Isambour geheiratet hatte, und der kleine Sohn, den sie vor kurzem geboren hatte?
    Hieda geschah etwas noch Erstaunlicheres.
    Eine Luke öffnete sich, ein Mann sah heraus, und misstrauisch bellte er Sophia entgegen: »Seid Ihr die Dänin?«
    Zunächst starrte sie verdutzt und ohne Worte. Nicht unpassend war, wofür man sie hielt, denn keiner der Franzosen hatte sie als Deutsche betrachtet, als sie in Isambours Gefolgschaft angekommen war, jedoch umso erstaunlicher, dass man mit ihrem Erscheinen rechnete.
    »Ich will nichts weiter, als mit Frère Guérin sprechen!«, forderte sie rasch.
    Der Mann, der durch die Luke gaffte, schien befriedigt – von ihrem Anliegen und von ihrem Akzent, der ihr erlerntes Französisch hölzern färbte.
    »Gottlob, dass Ihr endlich gekommen seid«, erklärte er und machte das Rätsel noch verworrener, »Ihr werdet dringend erwartet!«
    Sophia hatte gedacht, dass der Königspalast noch prunkvoller wäre als Bertrands reich ausgestattetes Heim. Stattdessen musste sie nun erkennen, dass König Philippe den Inhalt der Staatsschatulle für anderes nutzte: Der Putz des Mauerwerks war nicht getönt, sondern grau. Kaum sah man Säulen noch Kapitelle, desgleichen wenig Bemalung und Vergoldung. Während bei den Guscelins auch des Nachts über viele Öllampen brannten (Sophia hatte einen Dienstboten sagen hören, dass solches auch in türkischen Häusern üblich sei und Bertrand – der im Heiligen Land von solchem Luxus gehört habe – dem nachzueifern trachte), waren hier die Flure kalt und finster. Am schrecklichsten aber war der Gestank von den Aborterkern, der sich in jedem Winkel eingegraben hatte.
    Dem Wachmann, der sie erwartet, gar rätselhafte Worte gesprochen hatte und sie nun zu Frère Guérin geleitete, entging ihr angewidertes Schnüffeln nicht.
    »Pah!«, lachte er. »Es ist schon viel besser geworden mit dem Gestank. Noch zu Zeiten von Philippes Vater Louis geschah’s, dass die Balken des Prunksaals brachen, drei Edelleute in die Kloakengruben, die sich unter dem Boden befinden, fielen und elendiglich in der stinkenden Jauche ertranken.«
    Er schüttete sich vor Lachen, indessen Sophia erschauderte. Gottlob konnte er nicht fortfahren, denn

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