Die Chronistin
liegen und wird zugrunde gehen.«
Sophia schüttelte nachdenklich den Kopf – nicht das Fieber der Kinder bereitete ihr Sorge, jedoch die roten Flecken auf der blassen Haut.
»Es brennt!«, kam es erneut aus dem Mund des Ältesten.
Diesmal hörte es die aufgebrachte Adeline nicht. Flink sprang sie zur Tür, in der nach Bertrand eine runde, schwarz gewandete Gestalt erschienen war – ein Priester, nach dem sie hatte rufen lassen.
»Père Augustin!«, schrie sie verzweifelt. »Ihr müsst ihn taufen! Ihr müsst meinen Kleinsten taufen, ehe er stirbt! Denn wenn der Tod ihn holt, und er steht außerhalb der Kirche, so wächst ihm niemals Heil, sondern er kommt in den Limbus. Und dort ist es fortwährend finster – und wisst Ihr nicht, wie sehr mein Kleiner die Schwärze fürchtet?«
»Bereitet mir Gerstensaft!«, rief Sophia dazwischen. »Ich will versuchen, das Fieber zu senken!«
»Meint Ihr denn nicht«, warf Bertrand ein, »dass es auch möglich ist, ein Messer unter das Bett zu legen, welches den Teufel, der die Krankheit bringt, entzwei schneidet?«
»Ihr wolltet meine Hilfe – jetzt haltet Euch daran!«, entgegnete Sophia unwirsch. »Und eine Schweineblase brauche ich, grüne Kamille und Weizenkleie...«
Abwartend blieb Bertrand zunächst stehen, fügte sich schließlich und drängte an dem Priester vorbei, um ihre Befehle an die Dienstleute weiterzugeben. Adeline aber schien der Verstand vollends zu schwinden. Sie sank vor dem Priester nieder, umklammerte seine Füße und schrie zu ihm hoch: »Wie viel Talente Silber wollt Ihr haben, wenn Ihr ihn tauft? Wie viel sind Euch die Messen wert, die nach dem Tod für eine Arme Seele zu lesen sind – und derer sind siebzig angeraten, um die Buße an des Verstorbenen statt zu tun? Was kann ich Euch zahlen, auf dass Ihr die kranken Kinder salbt?«
Sophia stand beim mittleren der Söhne. Dennoch entging ihr nicht die scheue Miene des Priesters; voll Mitleid und zugleich voll Enttäuschung sprach er auf Adeline ein, und wiewohl deren fortwährendes Gekreisch Sophia störte, versetzte ihr das trostlose Urteil, das er ihr gab, dennoch einen leisen Stich: »Und wenn Ihr mir all Euer Hab und Gut übertragt; wenn Ihr mir Reichtum bis zum Ende meiner Tage versprecht... Ich kann Euren Jüngsten nicht taufen. Ich darf es nicht tun.«
Bis zum Morgengrauen wachte Sophia bei den kranken Kindern. Kamille und Weizenkleie hatte sie mit einer Hand voll Salz und klarem Honig vermischt und daraus einen Einlauf bereitet. Mit einer Schweineblase ward dieser in den Anus der Kinder geführt, auf dass alles Giftige und Verbrauchte aus ihren Körpern weichen möge. Sie hielt sich mit solcher Behandlung an den Rat von Schwester Cordelis – nicht gewiss jedoch, ob diese auch die roten Flecken vertreiben würde. Hernach blieb ihr nichts anderes zu tun, als ihnen fortwährend Gerstensaft einzuträufeln und die Körper mit Essigwasser abzureiben.
Nachdem Adeline vor Père Augustin zu Boden gefallen war, verkroch sie sich in einer Ecke. Dort zählte sie ein ums andere Mal alle Güter auf, die sie der Kirche vermacht hatte, den Preis, den jede einzelne Reliquie gekostet hatte, und die vielen Elevationen, die sie erlebt hatte.
Kummervoll blickte der Priester dann und wann in ihre Richtung, wiewohl – als er später wieder zu sprechen begann – sein Mitleid vor allem ihm selbst galt.
»Schaut mich und die anderen Männer Gottes an!«, klagte er in Sophias Richtung. »Wir sind allesamt am Verhungern. Wir leben von den Gaben, die die guten Menschen zu uns bringen. Seitdem jedoch der Fluch auf Frankreich lastet und keine Kirchenglocke läutet, hab ich kein frisch geschlachtetes Schaf bekommen und die Kinder, die im Chor singen, keine Kirschen, wie sie’s jetzt zur wärmeren Jahreszeit gewöhnt sind. Und die Kerzenmacher werden in den Ruin getrieben, weil die Kirchen keine Aufträge mehr für sie haben. Oh, gütiger Himmel! Wie soll es denn nur weitergehen mit uns?«
Sophia hatte das Feuer im Kamin ausgelöscht, auf dass es nicht länger die Luft verpestete, und entzündete stattdessen Kerzen aus Bienenwachs, um ein wenig Licht zu haben.
»Könnt Ihr nicht wenigstens den Kleinen taufen, um seiner Mutter Frieden zu schenken?«, warf sie vorsichtig ein.
»Aber nein!«, schrie der Priester entsetzt. »Kein einziges Sakrament zu spenden ist uns gestattet – wir selbst landeten in der Hölle, handelten wir zuwider. Wie viele werden in diesen Tagen bestattet, ohne dass wir Gebete sprechen!
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