Die Chronistin
vor wenigen Stunden noch ein ungetauftes Kind sterben musste, um nie den Himmel zu sehen? Dass der König zwar endlich seine Sturheit aufgibt, es für das Kleine aber zu spät ist? Oh, grausames Schicksalswalten!«
Er zuckte mit den Schultern, und als er den Mund öffnete, schien er sie trösten zu wollen. Vielleicht besann er sich im letzten Augenblick anders, denn was er sagte, klang kalt und gleichgültig. »Ihr seid doch eine Frau ohne Mitleid. Warum sonst hätte ich Euch heute zu dieser Aufgabe bestellt?«
Agnèse empfing Sophia im Bett, wenngleich nicht als wimmernde Kreatur, wie jene insgeheim erwartet hatte, sondern ernst, bleich und verschlossen. Tuschelnd umkreisten die Hofdamen das Geschehen. Sophia befand ihre Neugierde nicht nur als herzlos, sondern als störend und murrte ein befehlendes »Raus!«.
Man gehorchte sofort – selbst die blasse Agnèse zuckte zusammen. Freilich richtete sie sich bald wieder auf, weitete die Augen und ließ aus dem verkniffenen Mund, der schon lange kein Lächeln mehr kannte, vernehmen: »So ist es denn also entschieden. Der König verstößt mich.«
Sophia senkte ihren Blick, um der anderen zu ersparen, in ihren Augen nach Mitleid oder Herablassung zu suchen. Doch eben weil sie der Prüfung durch gestrenge Augen entging, brach Agnèse zusammen. Die Frau, die für knappe vier Jahre an Isambours statt Königin von Frankreich war, rang nach Luft, fand genug, um trocken aufzuschluchzen, und kippte schließlich vornüber aus dem Bett direkt in Sophias Arme. Halb hängend, halb kniend hielt sie sich fest, eine sich windende Kreatur, vom Leben gefällt.
»Ma Dame!«, rief Sophia entsetzt und haderte noch mehr als vorhin mit der Pflicht, die Frère Guérin ihr aufgezwungen hatte.
»Ich weiß es«, fing Agnèse hingegen zu sprechen an und vermochte nicht wieder damit aufzuhören. »Ich weiß es... Der König verstößt mich – und Ihr seid gekommen, es mir zu sagen, weil er den Mut dafür nicht aufbringt – er und seine Getreuen, die tuschelnd über mein Leben entscheiden und mir dabei nicht ins Angesicht sehen können. Ja, ich weiß es. Seit dem Anfang dieser verfluchten Ehe, welche nun keine rechtmäßige mehr ist, weiß ich es: Am Ende wird... sie gewinnen, die andere, die fromme. Man sagt, sie hocke betend im Kloster, und jetzt ist es ihr endlich gelungen, mein Verderben herbeizuführen. Ob ihres Daseins bin ich eine Ehebrecherin, bin ich dem Höllenfeuer anheim gegeben. Nichts gäbe es, was diese Sünde gutmachen könnte.«
Sophia versuchte vorsichtig, die zähen Hände zu lösen, die sich so lange und so fest an sie geheftet hatten, dass sie weiß geworden waren. Agnèse’ Finger waren kurz und aufgeschwemmt wie der restliche weiche Leib, der immer näher an Sophia rutschte.
Unwillkürlich verglich sie die geschwollenen Glieder mit der hageren Isambour. Und genauso plötzlich und ungewollt erwachte Erstaunen, warum der König so lange an dieser aufgedunsenen Frau festgehalten hatte. Je länger sich jene an Sophia festklammerte, desto übler roch sie nach stechendem Schweiß.
»Der König war stets gut zu mir – am Anfang«, fuhr Agnèse raunend zu reden fort. »Gewiss, er war ein Mann, und Männer haben rohe Hände. In der Nacht nach der Hochzeit kam er zu mir, befahl, ich solle die Augen fest schließen, meinen Körper entspannen und geschehen lassen, was er von mir wollte. Er hat sich zwischen meine Beine gekniet, ganz ohne Umarmung, ganze ohne Liebkosung. Sein Geschlecht war hart und groß, und er hat es in mich geschoben gleich einem scharfen Pfeil, der zerreißt und aufschlitzt und tötet. Ich wimmerte. ›Halt still!‹ sagte er. ›Vor allem aber gehorche mir und wende dich nicht gegen mich. Dies darfst du nie vergessen, sei nie wie... die andere.‹ Immer nannte er sie so. Nie hörte ich ihn ihren Namen sagen.«
Ihr Leib verlor an Druck und Gewicht, als würde er langsam schmelzen. Sophia war heiß geworden, indes der Schweiß der klagenden Frau an ihr zu laufen begann. Vorsichtig versuchte sie, Agnèse zurück in ihr Bett zu schieben, doch jene ließ nicht ab, mit raunzender Stimme das eigene Geschick zu bekunden.
»Ja, dies habe ich gelernt in jener ersten Nacht – ihm stets gehorsam zu sein, mich nie zu widersetzen. Es lag am König, zu kommen, wann er wollte, und zu kriegen, weshalb er kam. Meine Willfährigkeit hat ihm gefallen, oh ja, gewiss tat sie das. In den nächsten Nächten wurden seine Berührungen hitziger, gieriger, weicher – es tat
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