Die Chronistin
ich in seinem Auftrag schrieb, haben nichts genützt – der Papst und König Knut drängen mehr als zuvor, dass Philippe seine dritte Frau Agnèse verstoße und Isambour wieder in allen Ehren aufnähme... er braucht mich also nicht.
Sie verstand sein Verhalten, sie entschuldigte es auch – sie wünschte sich nur manchmal, es möge anders ausfallen, und des Königs Berater möge ihre Gesellschaft nicht nur für einen klaren Nutzen suchen, sondern weil er Gefallen daran fand, mit ihr seine Sorgen zu besprechen.
»Wohin fahren wir?«, bedrängte sie Bertrand. »Ihr könnt mich nicht mitten in der Nacht wecken, ohne...«
»Es tut mir leid«, murmelte er kleinlaut. »Will sagen: Nicht dass ich Euch weckte, tut mir leid, jedoch, dass ich Euch vielleicht Unrecht tat...«
»Was soll das heißen?«
Sein Gesicht verschwand im Schatten. »Ihr seid doch fähig, Menschen zu heilen, nicht wahr?«, setzte er an. »Selbst Magister Jean-Alberts Kopf habt Ihr zusammengeflickt. So seid Ihr denn die Einzige, die nun...«
Das Gefährt, das bislang rüttelnd und zuckelnd durch die schwarze Nacht gehetzt war, hielt an.
»Wollt Ihr mir nicht endlich sagen, wohin wir fahren?«, drängte Sophia. »Und ist’s nicht verboten, zu so später Stunde das Haus zu verlassen? Ich meinte, der König hätte ein Gesetz erlassen, wonach es verboten wäre, in der Nacht...«
»Ha!«, lachte Bertrand freudlos auf und verriet dies eine Mal, wie wenig er von Philippe hielt. »Der König sollte sich lieber darum scheren, diesen scheußlichen Fluch von Frankreich zu nehmen. Jeder weiß, dass er dem Papst auf Dauer nicht trotzen kann. Warum nimmt er sein Weib Isambour nicht endlich zu sich, anstatt aller Welt dieses Unheil aufzulasten? Ein halbes Jahr nun währt es schon!«
Sophia blickte zu Boden, unbehaglich wie stets, wenn die Rede auf Isambour fiel.
»Irgendetwas hat sie ihm wohl angetan, was er ihr nicht verzeihen mag...«, brachte sie ungelenk hervor. »Was aber treiben wir nun hier?«
Bertrand entstieg hastig dem Gefährt.
»Bitte, mein Weib«, erklärte er und sprach sie zum ersten Mal auf diese Weise an. »Es ist meine Schwester Adeline, der Ihr helfen müsst! In der Stunde größter Not hat sie sich an mich gewandt...«
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
Die beiden Frauen standen immer noch im nebeligen Hof.
»Was... was wirst du mir über Sophia verraten?«, fragte Roesia. »Was ist es, was ich nicht über sie weiß?«
Ihr schwante, dass es ein Fehler war, Grets geheimnisvolle Andeutung ernst zu nehmen und sie ergründen zu wollen. Wahrscheinlich wäre es besser, an dieser Stelle den Rückzug anzutreten und der anderen die Möglichkeit zu entziehen, sich wichtig zu machen.
»Das hörst du ungern, nicht wahr?«, spottete Gret bereits. »Dass ich mehr über sie weiß als du, was gleichsam heißt, dass dir Sophia letztlich fremd war. Dass du nie verstanden hast, wie sie wirklich war. Ach Roesia, du hast keine Ahnung von den Menschen, mit denen du lebst!«
Der letzte Satz klang gleichermaßen höhnend und mitleidig.
Das muss ich mir nicht gefallen lassen, dachte Roesia gekränkt. Schon wollte sie sich abwenden. Doch nun, da sie nicht mehr in Grets bösartige Augen blickte, fühlte sie – wider allen Willen zur Beherrschung – die Lust übermächtig werden, sich zu verteidigen. Der Vorwurf, sie verfüge nicht über Menschenkenntnis, schmerzte tief.
»Ich kannte Sophia ganz genau«, setzte sie unwillkürlich an. »Sie war die klügste und gebildetste Frau, die mir je begegnet ist. Sie handelte besonnen, sie beherrschte ihre Gefühle, sie weihte sich der Gelehrsamkeit und ihrer Chronik... Sie hat das Leben so wie ich betrachtet: dass es nicht wert sei, einen Geist zu zerrütten, der doch so weit erhaben ist über das Walten der Dummen und Dreisten.«
»Ha!«, lachte Gret und rüstete sich zum Widerspruch. »Ha! So weit geht also dein Trachten nach Rückzug von dieser Welt, dass du dir von einer jeden ein Bildnis schaffst, wie’s dir beliebt und wie’s dir nützlich scheint. Oh ja, gewiss, Sophia selbst hat sich stets darum bemüht, dass man in ihr das Kalte und Gefühllose und Vernünftige sähe. Es deuchte sie Schmeichelrede, warf man ihr vor, sie sei ein hartes Weib und eben darum kein solches, wie ein Mann es sich wünscht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit...«
Gret keuchte heftig, eine Wolke stob aus ihrem Mund. »Die ganze nämlich lautet, dass sie die Beherrschung der letzten Jahre mühsam erst erlernen musste. Sie
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