Die Chronistin
fromm, sondern gar heilig wäre?«
Seine Verachtung war leiser als bei ihrem letzten großen Streit, da er ihr die Bücher versagte. Dennoch traf er sie heute tiefer als damals, weil alles, was er sagte, ihr müder Geist in schwacher Stunde schon vor sich hingespult hatte.
»Isambour ist gewiss nicht heilig, sondern verrückt«, verteidigte sie sich. »Wer mehr in ihrem Geist sieht als nur die gähnende Leere, tut ihr damit nichts Gutes, sondern will den König ärgern und sich aufspielen. Sei’s darum. Die Ehe ist nicht ungültig, weil sie närrisch oder heilig ist, sondern weil sie nicht vollzogen wurde. Und vor dem Ehegericht habt Ihr diese Worte an meiner statt ausgesagt. Also steht es Euch von allen Menschen in Frankreich am allerwenigsten zu, mich anzuklagen!«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Nie hätte ich mich drängen lassen dürfen, Euch zur Frau zu nehmen und bei jenem jämmerlichen Spiel mitzuwirken!«
»Aber Ihr habt es getan, also hört auf zu klagen!«
»Was ist nur geschehen... was ist nur geschehen, dass der König sein Weib so hasst? Ihr müsst es doch wissen! Ihr wart doch dabei in jener Nacht!«
Wiewohl sie sich nicht daran erinnern wollte und lieber selber an die spätere Lüge glauben, kam ihr ein Bild in den Sinn: von Philippe, wie er in der Ecke kauerte, und Isambour, wie jene blutbefleckt war, als hätte man sie geschlachtet. So machtvoll tauchte es auf wie ansonsten nur Geschriebenes, das sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis brannte.
»Es ist ein Geheimnis«, fügte sie bitter hinzu, »und mit Geheimnissen kennt Ihr Euch doch aus, oder nicht? Wie sonst kommt’s, dass man die oberen Kammern in unserem Hause nicht betreten darf?«
Er wollte scharf etwas erwidern – doch just in diesem Augenblick hielt das Gefährt in der heimatlichen Straße, und kaum stand es still, ward von außen der Vorhang aus Leder fortgerissen und ein unbekannter Mann starrte herein.
»Seid Ihr Sophie de Guscelin?«, rief er ihr zu, ohne auch Bertrand Aufmerksamkeit zu zollen.
Die laute Stimme setzte ihr noch mehr zu als Bertrands bittere Anklage. Sie stach in die Ohren wie spitze Nadeln. Oh, wenn sie doch nur endlich schlafen könnte, die schreckliche Nacht vergessen, den sterbenden Säugling, dessen weicher Kopf in ihren Händen in den ewigen Schlaf, nicht aber in die ewige Ruhe gesunken war!
»Ihr müsst sogleich in den Palast kommen und mit der Königin reden«, erklärte der Mann, der offenbar von dort ein Bote war und sie seit Stunden erwartete.
Trotzdem die letzten Stunden wie ein Albdruck auf ihr lasteten, wurde Sophia hellwach.
»Mit Isambour?«, entfuhr es ihr überrascht.
»Nein«, bekundete der Bote, »nein, mit Agnèse.«
Es hieß, dass sie hübsch gewesen sei, als sie nach Frankreich kam und Guillaume Le Breton die große Liebe besang, die den König bei ihrem Anblick bis ins Herz getroffen hätte. Nun war sie aufgebläht und vorzeitig gealtert. Nach der Geburt des kleinen Philippe-Huperel war Agnèse von Meran schwermütig geworden. Und als sie die kleine Marie auf die Welt brachte, wäre sie beinahe im Wochenbett gestorben (was manch einer insgeheim hoffte, denn dann wäre dem König die Entscheidung, Isambour zurückzunehmen, leichter gemacht).
Nun hatte er sie getroffen, obwohl Agnèse noch lebte, hatte dem Papst endlich nachgegeben und sich bereit erklärt, Isambour wieder zu sich zu nehmen. Aber es fehlte ihm der Mut, Agnèse dies zu sagen.
»Er ist nach Fontainebleau geflohen und dort von niemandem zu sprechen«, murrte Frère Guérin düster, als er Sophia empfing. Ihm selbst sei die unliebsame Aufgabe übertragen worden, Agnèse zu erklären, dass sie nicht länger Königin sei, sondern fortan als Hure gelte, die der rechtmäßigen Gattin den Platz weggenommen hätte. Zwar hätte der Papst versprochen, ihre beiden Kinder zu legitimieren – sie selbst aber sei fortan vom Pariser Hof verbannt und dürfte auch den König nie wiedersehen.
»Und was wünscht Ihr von mir?«, fragte Sophia. Ihre Müdigkeit machte die Gedanken träge. Müdigkeit schien auch Frère Guérin befallen zu haben, der an ihr vorbeisah und keine Freude zeigte, dass der hoffnungslose Kampf gegen den Papst endlich vorüber war. Erschöpfung zeigte er – und altbekannten Überdruss.
»Ihr seid eine Frau«, murmelte er schlicht und versuchte gar nicht erst, seine Bitte zu erklären. »Übernehmt meine traurige Pflicht – sagt ihr die Wahrheit!«
»Welche Wahrheit?«, entfuhr es Sophia. »Dass
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