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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Wie viele Ehen bleiben ungeschlossen, sodass die Menschen Unzucht treiben! Dem Teufel ist es hier in Frankreich gänzlich freigestellt, zu knechten und zu peinigen und zu quälen. Vor nicht langer Zeit hat der Widersacher noch geklagt, in Frankreich gäbe es nichts mehr zu tun für ihn, seitdem die Mönche von Cluny so heftig beteten und Messen feierten. Doch nun, da sich der König als so stur erweist, ist es Lucifers Land geworden. Oh, hätte doch der König die Gattin nie verstoßen! Oh, hätte er niemals versucht, den Bund zu lösen, den Gott geschlossen hat!«
    Sophia senkte unbehaglich den Blick. »Der König hat sein Amt von Gott erhalten. Wie könnte er tun, was einem guten Christenmenschen widerspricht?«
    »So leicht ist es nicht«, entgegnete der Priester stur. »Gewiss will Gott, dass es unter den Menschen solche gibt, die dienen, und solche, die herrschen, aber Gott hat auch die Gewalt, die Mächtigen vom Thron zu stürzen – und wenn nicht zu Lebzeiten, so in der jenseitigen Welt. Der Mönch von Wetti sah in einer Vision, wie selbst Karl der Große von Dämonen geknechtet wird. Im Feuer der Hölle hockt er, und man zerrt und schneidet ihm in sein Geschlecht – weil er in Augenblicken der Versuchung der Unkeuschheit nachgegeben hat. Wir sind verloren! Wir sind allesamt verloren wie dieses arme Kind! Warum nur hat der König sein Weib verstoßen! Den Hungertod werden wir Priester noch zu sterben haben?«
    Sein lautes Klagen ging über in unverständiges Grammeln. Er hockte tatenlos wie in Stein gehauen – und ihm gleich tat es Adeline, die vom Limbus fantasierte wie ihr ältester Sohn vom Feuer.
    Bertrand trat zu Sophia und berührte unsicher ihren Arm. »Du wirst die Kinder doch retten können, Weib?«
    Schweigend verlief die Heimfahrt.
    Der Geruch nach Krankheit schien ihnen beiden anzuhaften, seit sie sich von den Krankenbetten gelöst – und auch Adelines Gekreisch, als zwar die beiden Großen gerettet waren, nicht aber der Kleinste. Er entschlief in Sophias Händen, die bis zuletzt den schwerer werdenden Kopf gehalten hatte, und später begaffte ihn Père Augustin mit einem Ausdruck von Erstaunen. So friedlich schien der Säugling – und doch ward er von gottesfernen Mächten schon entrafft, und ihm war nicht erlaubt, ein schützendes Kreuzzeichen zu schlagen. Wütend ging Adeline auf ihn los, alles Geld zurückfordernd, was sie ihm je gespendet hatte.
    »Seht Ihr«, murmelte der Priester kummervoll, indessen er sich unter ihren Schlägen duckte. »Seht Ihr, wie der Teufel hier umgeht? Nun nimmt er gar die arme Frau in Besitz!«
    »Ich kann’s nicht fassen«, murmelte Sophia zu Bertrand, als ihr die Stille in der Kutsche zu schwer wurde, »Dass er ihr selbst ein kleines Zeichen des Trostes nicht geben konnte.«
    »Es ist wie bei Mélisande«, entfuhr es Bertrand unwillkürlich – und die schweren letzten Stunden schienen ihm die sonst geschlossenen Lippen zu öffnen. »Der Priester vermeinte, er könne sie nicht segnen. Sie litte an der Krankheit der Sünder.«
    »Was war’s, woran sie starb?«, fragte Sophia – und das erste Mal nach vielen Wochen fühlte sie keinen Hass gegen ihn, sondern gleiches unbehagliches Mitleid wie im Hause der armen Adeline.
    »Aussatz«, sagte er schlicht. »Sie litt am Aussatz.«
    Er seufzte schwer.
    »Es tut mir leid«, murmelte Sophia, wiewohl sie solche Worte selten sprach. »Es tut mir leid.«
    Eine Weile hockte er schweigend und schien getröstet. Dann rückte er jäh ab. »Ich hätte Euch niemals heiraten dürfen«, klang es tief grollend, so wie Père Augustin zuletzt zu ihr gesprochen hatte. »Niemals. Auf Euch liegt ein Fluch.«
    Verwundert sah Sophia ihn von der Seite an, im dunstigen Licht nicht mehr von ihm erspähend als eine schattenhafte Maske. »Was redet Ihr denn? Ich habe Gott weiß alles getan, um auch den Jüngsten zu retten. Sie sind anfällig, die Kleinen, ich hätte nichts zu tun gewusst. Doch der Kummer Eurer Schwester wird vergehen, und sie wird neue Kinder gebären...«
    »Und wer wird sie taufen in diesem Land?«, fragte Bertrand unwirsch.
    »Gebt mir nicht die Schuld am Interdikt – es ist König Philippe, der sich dem Papst nicht beugt.«
    »Und warum vermochte König Philippe, sich seiner Ehefrau zu entledigen? Warum ist all dieses Unheil über uns gekommen? Weil Ihr beschworen habt, dass Isambour verhext sei. Wie kann das sein, wenn man an allen Ecken tuschelt, dass sie ihr Geschick mit großer Demut trägt, ja, dass sie nicht nur

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