Die Chronistin
zurück, und das Schluchzen erstarb – ob ihrer Scham und ob des Verdachts, dass seine Hand viel leichter zu ertragen war als die dicken Finger von Agnèse, die eben noch mit keiner Berührung gespart und besitzgierig nach ihr gegriffen hatten.
»Ich hätte schwören können, dass Ihr die Menschen nicht gern berührt und es bislang unterlassen habt«, murmelte sie, indes sie zurückwich.
Er war nicht minder verlegen als sie. »Eure Tränen sind heiß wie die aller aufgeregten, dummen Weiber«, erwiderte er ebenso leise und undeutlich. »Aber glaubt mir, sie lohnen sich nicht. Ich hab’s Euch doch bereits bekundet – als ich erzählte, wie ich zu Pferde den König gerettet habe: Manchmal muss man tun, was einem von allen Dingen am meisten zuwider ist... Nichts anderes als das hat dieser Tage auch die arme Agnèse zu begreifen. Sie tut’s für Frankreich.«
»So wie Ihr?«
Er lächelte leer, sprach hernach mit müdem Spott und ohne auf ihre Frage zu antworten.
»Manchmal«, sagte er. »Manchmal möchte ich in dieser Welt nicht länger Ränke schmieden... sondern verstummen.«
Ein Ruck ging durch den Körper, als er den Moment der Schwäche für beendet erklärte, in starre Haltung verfiel und den undurchdringlichen Blick aufsetzte. Doch die Frage, die er hinzufügte, verriet noch viel deutlicher als sein Gehabe, dass er sich nicht als Herr der Lage wähnte.
»Ihr kennt... Isambour von Dänemark. Ihr wisst, wie mit Ihr umzugehen ist. Werdet Ihr mich nach Soissons begleiten, wo der König sie als sein Weib anerkennt? Werdet Ihr sie an meiner Seite begrüßen, wenn man sie wieder Königin von Frankreich nennt?«
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
Stunden waren seit dem bösen Streit mit Gret vergangen, seit deren Enthüllung, dass sie Sophias Chronik kannte, doch auch als Roesia wieder einsam in der Zelle lag und tiefe Nacht sie umhüllte, störte die Erinnerung an die heftigen Worte ihre Ruhe wie grelles Licht. Unbarmherzig flackerte es vor ihren Augen und beleuchtete selbst jene Erinnerung, die sie lange vergessen glaubte.
Es war nicht gut, in der Vergangenheit zu wühlen. Um die Tage ihrer Jugend besser ertragen zu können, hatte sie sich schon damals stets hinter grauen Nebel gestohlen, durch den hindurch sie alles unklar und verschwommen sah. Die Jahre nun hatten jene Wand zu Stein erstarren lassen – ein Umstand, dem sie dankbar war.
Nun aber schien das glatt und fest Gebaute brüchig zu werden – sie lugte, sich im Bette wälzend, hindurch, und plötzlich starrte sie nicht nur in das Gesicht der toten Gatten und der toten Kinder, sondern auch in jenes ihrer Schwester.
Im Halbschlaf verschmolz deren Gesicht mit dem der hartnäckigen, gemeinen Gret. Die Stimmen wurden eins und sagten laut zu ihr: »Du bist eine, Roesia, die nicht nur flüchtet, sondern sich davonstiehlt!«
Sie versuchte sich zu verteidigen und tat es mit allem, was ihr zu Gebote stand: Habe ich’s mir denn ausgesucht, zu welcher Zeit und an welchem Ort ich in die Welt gespien wurde? Wär es denn ratsam gewesen, ich wär nicht verroht und solcherart geschützt gewesen – gegen die schmerzhaften Berührungen der Ehemänner, die qualvollen Geburten, die vielen Todesfälle?
Mächtig erhob sich die Gegenstimme gegen ihr Wispern und drängte sie dazu, an jenes Gespräch zu denken, welches das letzte gewesen, das sie mit ihrer Schwester geführt hatte.
»Warum willst du dich in einem Damenstift verkriechen?«, hatte jene, Richildis geheißen, gefragt. »Bleib hier und kämpfe um unseres Vaters Erbe – nun, da die Brüder tot sind und keiner mehr von unserer Familie bleibt als wir beide.«
»Wo denkst du hin?«, hatte Roesia barsch zurückgegeben. »Nicht nur die Brüder sind tot, sondern auch meine Gatten – und meine Söhne obendrein. In ihrem Namen hätte ich wagen können, was du mir rätst – so aber sind wir schutzlos fremder Willkür preisgegeben. Schon warten Vettern und Onkel, mich zu einer neuen Heirat zu drängen. Was könnte ich Besseres erwählen als ein Kloster?«
»Schwester«, drängte Richildis, »denkst du nicht manchmal daran, dass unser Blut jenes des Robert le Diable ist? Ein großer Normanne war er, der Tod und Teufel nicht fürchtete. Die meisten Kämpfe lohnen sich nicht um ihres Ziels willen – ei freilich wird dieses oft verfehlt! Doch allein die Kraft, die wir beweisen, indem wir uns der Mutlosigkeit nicht beugen, zeigt doch, dass wir der Vorfahren würdig sind.«
»Das ist mir gänzlich gleich.
Weitere Kostenlose Bücher